Anstatt die Spicherer Höhen im Jahr 1870 in einem blutigen Gemetzel zu erstürmen und mit den Franzosen eine sinnlose Schlacht zu schlagen, hätten die Preußen gut daran getan, bis in die heutige Zeit zu warten und sich das Restaurant Woll ins Visier zu nehmen. Hier wären sie auf friedliebende Franzosen gestoßen, hätten Lothringer Flair erleben und sich an einer lothringischen Küche erfreuen können.
Das Gasthaus Woll besteht seit 1897. Viele Jahrzehnte wurde es von der Eigentümerfamilie geführt. Die frühere Chefin, Madame Woll, galt als Original und war eine sehr beliebte Gastgeberin, die in ihrer gastfreundlichen Art die deutsch-französische Verständigung förderte. Ich habe ihr in meinem Roman „Papier gegen Kälte" ein kleines Andenken bewahrt. Von der saarländischen Landesregierung wurde ihr der Saarländische Verdienstorden verliehen. Auch der langjährige Oberkellner Louis gehört für mich zu den unvergessenen Sympathieträgern des Hauses. Seit einigen Jahren steht das Restaurant im Eigentum der bekannten Saarbrücker Fleischfabrik Schwamm. Es wird immer noch urwüchsig geführt. Zu seinen „ewigen" Ritualen gehört es, dass fast ununterbrochen Weißbrot geschnitten und gereicht wird. Dabei handelt es sich um ein langgestrecktes schlankes Brot, das im Saarland und in Lothringen „Flûte" (zu deutsch: Flöte) genannt wird, andernorts auch unter den Bezeichnungen Parisette, Parisienne, Pariser oder Baguette bekannt ist.
Das Lokal umfasst zwei Gasträume. Im Garten hinter dem Haus kann für Feierlichkeiten mit bis zu 12 Personen auch eine kleine Hütte bestellt werden. Bei schönem Wetter bietet sich die neben dem Haus gelegene Naturterrasse an, auf der unter Schatten spendenden Kastanienbäumen getrunken, gegessen und gefeiert werden kann. Das Ambiente ist nicht luxuriös. Das wäre an einem Ort mit dieser Geschichte auch nicht passend. Alles ist eher deftig, so, wie die vielen Stammgäste aus dem saarländisch-lothringischen Grenzgebiet es lieben und ebenso die weit Angereisten, die den Ort aufsuchen, weil dort die bekannte Schlacht stattgefunden hat. Das Schlachtfeld lässt sich vom Restaurant aus gut übersehen. Ein steinernes Kreuz mahnt im Zentrum des damaligen Geschehens zum Frieden und zur Völkerverständigung.
Wenden wir uns jetzt jedoch der Speise- und Getränkekarte zu. Das Angebot ist nicht überladen und damit glaubwürdig. Es wird das gereicht, was die Gäste schon seit viele Jahren besonders mögen, so Lothringer Flammkuchen, Gebratene Gänseleber, verschiedene Salate, Grillfleisch und mit Knoblauch und Tomaten zubereitete Garnelen. Von mir besonders geschätzt wird die lothringische Vorspeiseplatte und die Hähnchenflügel mit Knoblauch. Zu trinken gibt es neben anderem saarländisches Bier, Elsässer Weine und Lothringer Schnapsbrände. Zum Nachtisch darf ich das Mystère empfehlen, ein Eisparfait im Krokantmantel (mit oder ohne Grand-Marnier-Likör). Zu Festlichkeiten lohnt es sich, mit einer der vier angebotenen Kir-Variationen anzustoßen.
Die Umgebung der Gaststätte mit Denkmälern für die gefallenen Krieger, einem amerikanischen Panzer aus dem 2. Weltkrieg, Wiesen und Waldwegen lädt zum besinnlichen Verdauungsspaziergang ein. Was aber hat der Panzer hier zu suchen? Nun, in Spichern wurde nicht nur am 6. August 1870, sondern auch im 2. Weltkrieg gekämpft. Als Teil des „Westwalls" war hier auch eine Bunkeranlage errichtet worden. Es ist belegt, dass sowohl Hitler als auch SS-Obergruppenführer Heydrich sich außerhalb der Kampfzeiten am Ort aufgehalten haben. Dadurch sollte man sich aber nicht den Appetit verderben lassen. Die u. a. von Robert Schuman und Konrad Adenauer beförderte deutsch-französische Freundschaft lebt und findet von Dienstag 17:00 Uhr bis Sonntag 24:00 Uhr in diesem Lokal an der Grenze ihren friedlichen Ausdruck.
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Internet: www.restaurant-woll.com/de/
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- Vorschaubild und Bild unten rechts: Scan von der Speisekarte (mit freundlicher Abdruckgenehmigung).
- Foto „Gasthaus Woll, Außenansicht": Florian Russi
- Foto „Naturterrasse mit Biergarten": Andreas Werner