Ein überzeugendes Beispiel von Gruppendynamik zeigt die von 1972 bis 1979 von dem späteren Landtagsvizepräsidenten und heutigen Präsidenten des Saarländischen Landessportverbandes (LSVS) Gerd Meyer angeführte Junge Union (JU) des Saarlandes. Als Jugendorganisation der CDU war sie schon immer „biologisch" ein Nachwuchsreservoir für politische Führungskräfte. Doch um Erfolg zu haben und Karriere zu machen reicht es nicht aus, sich lediglich als Erbe zur Verfügung zu halten. Die, welche politische Macht ausüben, lassen erfahrungsgemäß nicht gerne los von Ämtern und Würden. Deshalb muss eine neue Generation immer um Teilhabe und Berücksichtigung an der staatlichen Macht und Herrschaft kämpfen. Sie muss sich definieren, ihre Rolle finden, sich durchsetzen und - positiv ausgedrückt: sich bewähren.
Das war in den 70er Jahren im Saarland nicht leicht. Über 20 Jahre lang, von 1959 bis 1979 war Ministerpräsident Dr. Franz Josef Röder im Amt. Er erweckte den Eindruck, auch noch ein „goldenes Dienstjubiläum" anzustreben und hielt alle Konkurrenten und potentiellen Nachfolger, insbesondere die aus der jüngeren Generation, auf Distanz.
Die jedoch wurden aufmüpfig. Gerd Meyer und seine Truppe, der engere Kern wurde auch als „Gruppe Meyer" bezeichnet, gaben der Jungen Union ein neues, kritisches Selbstbewusstsein gegenüber der Partei (Meyer damals: „Röder ist ein Ass und ein Aas") und wartete nicht mehr ab, dass irgendwelche Aufgaben oder Pöstchen für sie abfielen, sondern stellte Forderungen. Sie entwickelte Grundsatzprogramme und Strategiepapiere, gründete eine Schülerorganisation (Schüler-Union) und unterstützte neue und kritische Persönlichkeiten wie die Professoren Schön und Rohde, die für frischen Wind im saarländischen Landtag sorgen sollten. Bald auch meldeten sie eigene personelle Ansprüche an. Die jungen Leute trafen sich oft, hielten laufend Versammlungen ab, führten viel besuchte Veranstaltungen durch, organisierten bürgernahe Wahlkämpfe („Canvassing") und feierten Feste. In Erinnerung ist mir noch, wie der JU-Landesverband zu einer Europa-Manifestation vor dem Europadenkmal auf dem Beruser Berg aufgerufen hatte und der Nachthimmel vom Wiederschein der vielen mitgeführten Fackeln weithin sichtbar erglänzte.
Im Seminar über Jugendsoziologie bei Professor Rosenmayr in Wien hatte ich gelernt, dass sich Talente früh entwickeln und dass jugendliches Engagement sehr nachhaltig wirkt. So hatten Rosenmayrs Untersuchungen ergeben, dass die weitaus meisten Politiker Österreichs sich als Schüler im Mitteschulkartellverband oder in gewerkschaftlichen Jugendorganisationen engagiert hatten. Die führenden Geistlichen des Landes hatten sich in jungen Jahren als Messdiener hervorgetan und die späteren Wirtschaftsbosse schon als Kinder und Jugendliche z.B. durch den Handel mit Briefmarken, Fotos oder Antiquitäten oder durch Dienstleistungen Einkünfte verschafft.
Ähnliches lässt sich an der Saar feststellen. „Diese Jüngelchen", sagte kürzlich eine ehemalige Gastronomin, in deren Hotel sie häufiger getagt hatten, zu mir: „Jetzt sehe ich sie ständig im Fernsehen oder lese über sie in der Zeitung". Tatsächlich haben viele von ihnen erstaunliche Karrieren gemacht: als Ministerpräsidenten (in), Minister, Landtagspräsident, Abgeordnete, Bürgermeister, Medienverantwortliche, Wirtschaftsführer oder Leiter von Gesellschaften und Organisationen.
Zusammenschlüsse und Verbrüderungen hat es in der Jungen Union auch andernorts gegeben („Andenpakt", „Tankstelle", „Reformgruppe Berlin" u.a.), doch selten waren sie so offen und für alle Interessierten aufgeschlossen wie im Saarland. - Eine Parallele zur JU gab es im Übrigen auch bei den saarländischen Jungsozialisten. In Saarbrücken scharte Oskar Lafontaine eine Gruppe um sich (Klimmt, Bohr, Hajo Hoffmann, Marianne Granz u.a.), die eng zusammenhielt und im Jahr 1985 die SPD im Saarland an die Regierung brachte.
Auf Einladung des amtierenden Landesvorstands der Jungen Union Saar haben sich viele von deren „Ehemaligen" im November 2013 in Saarbrücken mit heute Aktiven getroffen. Sie hörten eine Rede ihres früheren Vorsitzenden, späteren Ministerpräsidenten und heutigen Bundesverfassungsrichters Peter Müller, der anmahnte, dass wie früher die Aufgabe der Jungen Union darin bestehe, „Motor und Gewissen" der Partei zu sein. Die älteren Teilnehmer wirkten abgeklärt und zufrieden und waren alle noch irgendwo initiativ.
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Bildnachweise:
- Vorschaubild: Elsa Meyer
- Foto "ehemalige JU-Vorsiteznde", Foto "Gerd Meyer" und Foto "Peter Müller": Elsa Meyer
- Foto "Werner Schreiber": Rudolf Dadder