In dem Beitrag „Die fremden Herren" hat Walter Kappmeier dargestellt, über welch lange Zeiträume die Saarländer fremd bestimmt leben mussten. Im Jahr der Französischen Revolution, 1789, bestand das heutige Saarland aus 18 verschiedenen Herrschaftsgebieten, erst seit 1947 existiert es in seinen jetzigen Grenzen. Jahrhunderte war es zwischen Deutschland und Frankreich umstritten, religiös war es gespalten in einen katholischen Nord-Westen und einen mehrheitlich protestantisch geprägten Süd-Osten. Kirchenpolitisch wird es bis in die Gegenwart von Trier, Speyer und Düsseldorf aus regiert. In der Montanindustrie, insbesondere im Bergbau, die über viele Jahrzehnte die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bestimmten, wurden die führenden Positionen je nach der politischen Lage von Franzosen oder „Leuten aus dem Reich" besetzt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts schafften nur zwei Saarländer den „Karrieresprung" zum Obersteiger. Unter solchen Umständen war es nicht einfach, ein saarländisches Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Oft wurde zum Witz Zuflucht genommen. Die Frau eines früheren Bergmanns hat mir den folgenden erzählt: Trifft der Bergmann (Saarländer) auf den Steiger (aus dem „Reich") und sagt: „Oh, Herr Steiger, was habe ich gehört, Ihr Hund ist gestorben. Das tut mir leid. Da wäre doch besser eines von meinen Kindern verreckt."
Ein früherer Bergbauchef erklärte mir voller Überzeugung, dass Saarländer sich nicht zu führenden Aufgaben eigneten, aber große Stärken im Organisieren auf unteren Ebenen hätten. Das deckte sich mit dem, was mein ausbildender Anwalt (Westfale) mir aus seinen Kriegstagen berichtete. Als Offizier habe er, wenn es etwas zu „organisieren" gab (z. B. Nahrungsmittelbeschaffung) gern auf Saarländer zurückgegriffen. Wenig später besuchte ihn sein ehemaliger Adjutant aus dem Saarland. Bei der Begegnung mit seinem ehemaligen Chef fiel er voll in seine alte Rolle zurück und bestätigte dessen Einschätzung bis ins Groteske. Inzwischen, so machte er allerdings deutlich, hatte er einen neuen Boss gefunden. Er stand völlig unterm Pantoffel seiner Ehefrau. Als ich meinen Ausbilder einlud, mich bei meiner nächsten Heimfahrt ins Saarland zu begleiten und sich ein anderes Bild zu machen, nahm er das Angebot nicht an und bat mich stattdessen, alleine zu fahren und ihm französischen Käse mitzubringen.
Der frühere saarländische Kultusminister Scherer zitierte aus Umfragen, wonach die Saarländer sehr gouvernemental eingestellt und gern bereit seien, sich anzupassen oder unterzuordnen. Als ich einmal den inzwischen verstorbenen damaligen Ministerpräsidenten Röder darauf ansprach, die Eigeninitiative der einheimischen Bürger stärker zu fördern, machte er mir deutlich, dass er sich in der Rolle eines Landesvaters sah, der wie ein traditionelles Familienoberhaupt das Leben der ihm Anvertrauten ordnen und lenken wollte. Für Eigenmächtigkeiten blieb da wenig Platz.
Mehrfach hat man mich darauf hingewiesen, dass nach dem Wiedereintritt des Saarlandes ins „Reich" bei länderübergreifenden Tagungen und Kongressen die Saarländer zurückhaltend und sogar schüchtern aufgetreten sind. Anders als z. B. die Bayern, Schwaben oder Hamburger hatten sie auch Probleme, sich zu ihren Dialekten zu bekennen. Die Bayern hatten ihren „Kini" und Neuschwanstein, die Schwaben ihren Schiller und Hegel, die Hamburger ihre stolze Hanse-Tradition. Wo drauf wollten die Saarländer stolz sein?
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Quellen:
- Wolfgang Behringer/Gabriele Clemens, Geschichte des Saarlandes, Verlag C.H. Beck, München 2009
- Hans-Walter Hermann/Georg Wilhlem Sante, Geschichte des Saarlandes, Verlag Ploetz, Würzburg 1972
Bildnachweise:
- Vorschaubild: "Lage des Saarlandes" by David Liuzzo, CC By-SA 2.0, via wikimedia commons; bearbeitet von Rita Dadder.
- Briefmarke der Deutschen Bundespost von 1994 aus der Serie: Wappen der Länder der Bundesrepublik Deutschland.
- Fotos "Franz-Josef Röder", "Oskar Lafontaine", "Peter Müller": Staatskanzlei des Saarlandes.
- Foto "Erich Honecker": Bundesarchiv, Bild 183-1986-0421-044 / Mittelstädt, Rainer / Lizenz: CC-BY-SA, via wikimedia commons