Saarland-Lese

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Unser Leseangebot

Saarbrücken

Die 99 besonderen Seiten der Stadt

Rita Dadder und Florian Russi

Saarbrücken, Landeshauptstadt des Saarlandes und unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze gelegen, ist eine Stadt mit vielen Reizen. Es hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Von Goethe wurde es besucht und beschrieben und von Kaiser Barbarossa teilweise zerstört. Heute ist Saarbrücken eine moderne Metropole mit Universität, Museen und vielfältiger Kultur. Hier lebt man nach der Devise: »Wir wissen, was gut ist«, ist gastfreundlich und lässt sich gerne »entdecken«.


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Florian Russi

Im Zeichen der Trauer
Tröstungen für Hinterbliebene

Dieses Büchlein will denjenigen helfen, die durch den Verlust eines geliebten Menschen in Trauer, Schmerz und seelische Not geraten sind. 

Das Haus

Das Haus

Hans Herkes

Über die Heim(at)verbundenheit der Saarländer

Die Geschichte ist aus einem Dorf im nördlichen Saarland überliefert. Sie hat sich nicht heute oder gestern, sondern vor zwei oder drei Generationen zugetragen, grob gesagt, in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.

Im Haus wohnen drei Personen: die verwitwete Mutter, eine resolute Mittsechzigerin, die nicht auf den Mund gefallen ist; ihre Tochter und deren Ehemann. Von Kindern respektive Enkelkindern ist nichts bekannt. Die beiden Frauen besorgen das Haus, den Garten, die Hühner, die zwei Ziegen und das Schwein. Der junge Mann ist Bergmann. Die Grube, in der er arbeitet, liegt im Industriegebiet an der Saar. Der Weg dorthin ist weit, die Verkehrsverbindungen sind schlecht. So kommt er nur am Wochenende nach Hause, von Montag bis Samstag bleibt er im Schlafhaus in der Nähe der Grube. 

In solchen Häusern wohnten die Familien der Arbeiter von der Glashütte. Im mittleren wohnte Johannes Kirschweng.
In solchen Häusern wohnten die Familien der Arbeiter von der Glashütte. Im mittleren wohnte Johannes Kirschweng.

In dieser Woche nun hat es mit der Einteilung der häuslichen Arbeit nicht so geklappt wie geplant. Was auch immer dazwischen gekommen ist, die Frauen sind nicht fertig geworden. Als der junge Mann am Samstag heimkommt, sind sie noch in der Waschküche mit der großen Wäsche beschäftigt. Die Waschküche, das ist ein spärlich beleuchteter Raum im Keller. Auf einem niedrigen Ofen steht ein 80 l-Kessel mit der Kochwäsche, die mit einem langen Holz gerührt werden muss. Der ganze Raum ist voller Dampf. Man sieht kaum die Hand vor den Augen. Der heimgekehrte Bergmann stößt die Außentüre auf, ist geblendet, der Dunst schlägt ihm entgegen. Er will seine Frau umarmen, erwischt die Schwiegermutter, erschrickt und lässt sie los. Ihr bleibt dem Schwiegersohn gegenüber zum ersten Mal die Sprache weg, sie erholt sich aber schnell von dem Schreck und sprudelt heraus: „So hat maisch noch käna eschdameert, dau grisch'd Hous." (Für Leser, denen die Mundart der Gegend weniger vertraut ist: „So viel Achtung hat mir noch keiner entgegengebracht. Du bekommst das Haus.")

Was verrät die Geschichte? Die Mutter ist noch Eigentümerin des Hauses. Es ist noch nicht entschieden, welches der Kinder es übernehmen und seine Geschwister ausbezahlen wird. Dabei werden die Schwiegerkinder (der Ädam und die Schnur) auch in Betracht gezogen, sie sind aber gut beraten, wenn sie bei der Erbteilung - wenn auseinandergemacht wird - Zurückhaltung üben.

Die Bronzeskulptur von Lothar Meßner aus Wadgassen stellt Johannes Kirschweng dar.
Die Bronzeskulptur von Lothar Meßner aus Wadgassen stellt Johannes Kirschweng dar.

Vor einigen Wochen wurde im Abteihof in Wadgassen in einer Feierstunde an den Schriftsteller Johannes Kirschweng erinnert. Anlass war sein 60. Todestag. Er war im Jahr 1900 in Wadgassen geboren worden, hat viele Jahre in seinem Heimatort gelebt und ist auf dem dortigen Friedhof begraben.

Im Schullesebuch „An der Schwelle", das in den 50er und 60er Jahren in den siebten und achten Klassen der saarländischen Schulen verwendet wurde, stand eine Geschichte von Kirschweng mit dem Titel „Das Haus". Darin erzählt er, wie viel Mühe es seine Großeltern gekostet hat, ein Haus zu bauen und zu bezahlen. In den Gebäuden der ehemaligen Wadgasser Abtei war in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts eine Glashütte eingerichtet worden. Deshalb war der Urgroßvater aus seinem lothringischen Dorf, wo er als Glasmacher gearbeitet hatte, nach Wadgassen gekommen. Die Zugezogenen fanden Wohnung in dem großen Haus, in dem früher die Dienstleute des Klosters gewohnt hatten. Im Hof, so heißt das Gebäude heute noch, gab es viele Wohnungen, und die Mieten waren gering.

Als der Großvater heiratete, wollte er ein eigenes Haus mit Garten für seine Familie. Die Verwandtschaft der Frau half, das Grundstück zu erwerben und das Haus zu bauen. Danach begann die eigentliche Mühsal, die Zurückzahlung des Darlehens mit Zins und Zinseszins. Darüber wurden die Großeltern alt.

Ein Abschnitt in der Geschichte: „Und als da der eine Junge war, von dem der Lehrer und der Pfarrer sagten, er könne alles werden, wenn man ihn nur studieren lasse, Pfarrer, Lehrer, Doktor und was sonst noch alles, da musste man schweren Herzens, ja wahrlich schweren Herzens, darauf verzichten: Das Haus musste bezahlt werden."

Das Abteihofgebäude, das Wirtschaftsgebäude der ehemaligen Prämonstratenserabtei Wadgassen.
Das Abteihofgebäude, das Wirtschaftsgebäude der ehemaligen Prämonstratenserabtei Wadgassen.

Diese Stelle gefiel einer aus dem „Reich" zugezogenen Lehrerin gar nicht. „Eine dumme Geschichte", sagte sie, „die hätten den Jungen studieren lassen und nicht Jahrzehnte lang auf das Haus bezahlen sollen." Recht hätte sie gehabt, wenn die Geschichte ein Rezept sein wollte, wie man zu verfahren habe. Kirschweng hat sie gewiss nicht mit der Empfehlung zur Nachahmung aufgeschrieben, sondern weil sie zu seiner Familiengeschichte gehörte, lebte er doch in eben diesem Haus, und er wollte wohl den Blick des Lesers auf einen Aspekt saarländischer Lebenseinstellung lenken. Es gab und gibt hier nicht die großen Arbeiterkolonien wie in anderen Industriegebieten, zum Beispiel im benachbarten Lothringen. Ja, es ist schade, dass der Sohn mit dem hellen Kopf nicht Pfarrer oder Lehrer oder Doktor werden konnte. Immerhin ist einer aus der nächsten Generation Priester und Dichter und Schriftsteller geworden, und der hat die Geschichte aufgeschrieben.

So waren sie eben, die Saarländer, vor zwei oder drei Generationen. Als meine Mutter mit ihrem Mann an ihren 37. Geburtstag vom Notar kam, wo den beiden das Haus ihrer Eltern überschrieben worden war, hatten sie ein Lebensziel erreicht. Deshalb war es so schlimm für sie, als sie wegen des Krieges das Haus zweimal verlassen, sozusagen unbewacht zurücklassen mussten, 1939 und 1944.

Und heute? „Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen die Menschen", sagt man. Ganz ausgestorben sind sie indes nicht, die heimatverbundenen Saarländer, die ihr Haus und ihren Garten an der Saar nicht aufgeben wollen, um an Rhein oder Main oder Neckar ein paar Sprossen auf der Karriereleiter hochzusteigen.

 

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Fotos: Hans Herkes
Das Vorschaubild zeigt ebenso wie das untere Foto das Abteihofgebäude, das Wirtschaftsgebäude der ehemaligen Prämonstratenserabtei Wadgassen.

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