Der Kaiser war gestorben! In einer Anzeige mobilisierten die Kriegervereine von St. Johann - Saarbrücken, Saarbrücken, St. Arnual, Malstatt und Burbach ihre Mitglieder zu einer Trauerfeier am 18. März 1888 um 9 Uhr auf dem Schlossplatz. Dazu Hinweise zum gewünschten Äußeren, u. a. nämlich „den Flor am linken Arm, die mit Trauerschleife versehene Kornblume auf der linken Brust befestigt.“
Schon am 10. März boten in der Reichshauptstadt fliegende Händler für die trauernde Bevölkerung Kornblumen aus Krepp an. Denn fällt der Anlass in eine Jahreszeit, in der die Blume noch nicht zu pflücken ist, half man sich mit einer künstlichen Kornblume, die man erwerben konnte, z. B. in Saarbrücken bei der Modistin Louise Braun in der Eisenbahnstraße 19 oder bei M. Schiffbauer in der Eisenbahnstraße 34.
Zum 40. Jahresgedächtnis des Krieges 1870/71 richtete der Kreiskriegerverband Saarbrücken sogar einen Kornblumentag aus zugunsten eines Veteranenfonds. Gleichzeitig sollte Wilhelm I. gedacht werden, der am 9. März 1888 starb, den Toten von 1870/71 und, deswegen ein Fonds, „der großen Zahl tapferer Krieger, welche heute noch an den erhaltenen Verwundungen leidet und an den Krankheiten, zu denen die Strapazen des Krieges den Keim gelegt haben. Alt und gebrechlich und ohne genügende Mittel, sich Heilung oder Erleichterung zu verschaffen, verbringen sie den Rest ihrer Tage. Reich, Bundesstaaten, Gemeinden tun schon vieles, aber auch von anderer Seite muss Hilfe geleistet werden.“ Daher baten nun die Saarbrücker Kriegervereine „die Bürger in Stadt und Land“, am „Tag von Spichern“ eine Kornblume zu erwerben und reichlich zu spenden. So verkauften am 22. Juli 1911 ab 8 Uhr festlich gekleidete Mädchen und Frauen künstliche Kornblumen zu 10 Pfennig das Stück. Diese blaue Blume sollte „an die Einigkeit und den Wert des Friedens gemahnen“ und daran „mit welcher Blume der alte Kaiser die Erinnerung an seine herrliche Mutter pflegte.“
Denn hier liegen die Wurzeln zu der Bedeutung, die die Blume im 19. Jahrhundert erlangte. Dieses Preußische, festgemacht an zwei Personen aus der preußischen Königsfamilie, schwappte nach 1815, mit der Zeit auch in unsere Region, die zum Teil zur „Preußischen Rheinprovinz“ gehörte. Königin Luise von Preußen (1776-1810), die bei ihren Untertanen sehr beliebte und volksnahe Königin war eine begeisterte Naturliebhaberin: „Die schöne Natur habe ich bewundert, sowohl auf dem festen Lande als zu Wasser. Oliva, eine Meile von Danzig, ist ein irdisches Paradies seiner schönen Lage halber, Berge, Kaskaden, Täler, schöne majestätische Aussichten ins Meer gewähren dem Auge beständige höchst angenehme Abwechslung.“
Nicht nur das. Sie versuchte, wenn es nur ging, auch naturnah zu wohnen. 15 km nordöstlich von Potsdam, in Paretz, war das Sommerdomizil der königlichen Familie. Ein einfaches Landhaus, Fritz und Wilhelm pflückten Sträuße für die Vasen auf dem Esstisch, Eltern und Kinder haben Kräuter- und Gemüsebeete angelegt, es gibt Erntedank- und Jägerfeste, Maientanz und Schnitterumzug, ihre Kinder spielen mit der Dorfjugend, die Eltern tanzen bei Festen auch mit der bäuerlichen Bevölkerung. Königin Luise liebte, neben Rosen und Veilchen, Kornblumen, mit denen sie ihre Kinder bekränzte, die sie sich gerne an die Brust oder ins Haar steckte, was ihre blauen Augen betonte und ihr Gelegenheit zu patriotischen Bekundungen gab. Als sie einmal an der Tafel von zwei französischen Generälen auf ihren sonderbaren Schmuck angesprochen wurde, antwortete sie: „Seit Ihre Pferde unsere Kornfelder zertreten haben, gehören auch wilde Kornblumen zu den Kostbarkeiten in Preußen.“
So wurde mit der Zeit die Kornblume ebenso die Lieblingsblume Wilhelms,
der seine Mutter so liebte wie die anderen Geschwister. „Ich danke auch
für die Blümchen, die ihr mir geschickt habt; sie haben mir sehr viel
Vergnügen gemacht, da ich sehe, dass ihr auch entfernt an eure Mutter
denkt,“ schreibt Luise am 7. Juni 1802 aus Königsberg.
Besuchte er später das Grab seiner Mutter, legte er oft einen Kornblumenstrauß darauf. Als 1861 der Gesandte Napoleons III., der Herzog von Magenta, in Berlin einen Ball gibt, trägt die Frau des Generals von Moltke, Marie von Moltke, ein gelbseidenes Kleid mit blauen Kornblumen und silbernen Ähren.
Wie den 70er Invaliden helfen? Ein Kornblumentag half bei weitem nicht aus! So trafen sich am 17. August 1872 ehemalige Soldaten in der oberen Vorstadt von Saarbrücken im „Rothen Hause“, um Kriegervereine in Saarbrücken und St. Johann zu gründen. Bei gesellschaftlichen Treffen sollte die Erinnerung wachgehalten werden an die Tage 1870/71, etwa durch die Einweihung von Ehrentafeln oder Fahnen. Ein anderes Ziel war Mitgliedern in Not zu helfen, auch durch Geld. Auch der „Deutsche Kriegerbund“, die Vertretung auf Reichsebene, formulierte als eines seiner Ziele die Errichtung eines Fonds für „hilflose Kameraden“ der Einigungskriege von 1864/1866/1870/71. Mitgliedsbeiträge, Kollekten und Sondererlöse wie beim „Kornblumentag“ sollten den Fonds speisen.
Noch am 6. August 1874 liegt im Königlichen Garnisonslazarett in der
Vorstadtstraße 42 der letzte Verwundete von Spichern. Karl August
Fender, Füsilier der 10. Kompanie im 48. Infanterieregiment bekam in der
Schlacht einen Schuss in die linke Brust, über zwei Jahre ans Bett
gefesselt, noch immer eine offene Wunde auf den Rücken! Ein Invalide!
Die 18 Taler Pension würden nie reichen, seine angestellte Mutter würde
ihn nicht unterstützen können. So erlässt die „Saarbrücker Zeitung“
einen Aufruf zu Geldspenden für diesen Invaliden, dem fleißig
nachgekommen wird. Ob die Knabenschule in Fechingen, der „Verein zur
Unterstützung im Felde verwundeter Krieger“ aus Gersweiler bis hin ins
ferne Deutschland: ein Kurgast aus Bad Bertrich, ein Bahnmeister aus
Briesen/Mark, Spenden aus Köln, Bremen oder Wilhelmshaven. Die Zeitung
nimmt das Geld auf ein Konto und übergibt es später dem ehemaligen
Soldaten. Auch seine Heimfahrt per Bahn im September 1874 ist damit
gesichert, ebenfalls für seinen Begleiter „Oberlazarettgehülfe“ Darimont
aus Saarbrücken. So sieht ihn seine Mutter wieder, in Friedrichsville
bei Reppen (in der Neumark, seit 1945 polnisch), 20 km von
Frankfurt/Oder entfernt.
Am 12. September 1874 bedankt sich Karl August Fender bei den Saarbrückern, die ihn in seiner schweren Zeit betreut haben. Dieser Brief wurde in der Saarbrücker Zeitung abgedruckt. So berichtet er: „Bei meinem Aussteigen aus dem Coupé, nachmittags um ½ 6 Uhr, empfing mich auf dem Bahnhofs-Perron eine Deputation des Kriegervereins, der Herr Hauptmann Herr Bläse, Berufsfeldwebel Tornow, welche mir einen von schönen Blumen gewundenen Kranz umhingen, währenddessen die Musikkapelle des Vereins die Nationalhymne spielte. Oberlazarettgehülfe Darimont und mich in die Mitte nehmend gingen wir vor das Bahnhofsgebäude, wo der Verein Stellung bezogen hatte. Sie präsentierten das Gewehr und spielten den Parademarsch. Meine Geschwister und meine Mutter waren auch anwesend, der Hauptmann hielt eine Ansprache. Der Arbeitgeber meiner Mutter stand mit geschmückter Kutsche bereit, meine Mutter und wir stiegen ein. In Reppen wurden wir im Gasthof „Zum Grünen Baum“ von den Honoratioren empfangen, es gab Ente mit Rotkohl zum Essen und Rotwein. Als ich später das Gasthaus verließ, und mit der Kutsche nach Hause gebracht wurde, warfen Frauen aus den Häusern Blumensträuße auf mich.“
Über den Kornblumentag von 1911 waren die Verantwortlichen zufrieden. Um 11 Uhr vormittags trafen sich die „Alten Kameraden“ am Neumarkt, um am Denkmal Wilhelms I. und am Bismarckdenkmal einen Kornblumen - und einen Lorbeerenkranz niederzulegen. Der Verkauf der Kornblumen erbrachte 22.000 Mark, nach Abzug der Unkosten einen Reinerlös von 17.000 Mark.
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Literaturverzeichnis:
-
Meta Brix: Marie v. Moltke. Stuttgart
1944, 238 S.
-
Karl Griewank: Königin Luise, Briefe und Aufzeichnungen. Leipzig
1924, 431 S.
-
Franz Herre: Kaiser Wilhelm I. Köln 1980, 539 S.
Bildquellen:
- Vorschaubild: Centaurea cyanus and chamomile in a field of barley. Urheber: Guido Gerding, Genehmigung CC-BY-SA 3.0, via wikimedia commons
- Bild oben rechts: Kornblumentag.zur 40-jährigen Friedensfeier 1970/71. 10 Mai 1911.
- Porträt der Königin Luise von Preußen (Louise of Mecklenburg-Strelitz. Ölbild von Josef Maria Grassi, 1804
- Bild „Kaiser Wilhelm I.“. Ölgemälde von Emil Hünten, 1891
- Saarbrücker Gymnasiasten mit einem Verwundeten der Schlacht von Spichern. Zeichnung von Carl Röchling