Ziemlich genau 111 Jahre vor der Reise der Bundeskanzlerin und ihrer Begleiter nach China, im September des Jahres 1901, besuchte im Auftrag des Kaisers von China dessen Halbbruder, Prinz Tschun, Deutschland, damals das deutsche Kaiserreich. Die Reise erfolgte an Bord eines deutschen Schiffes von Shanghai nach Genua, mit der Eisenbahn nach Basel und von dort nach Potsdam, wo der Prinz dem deutschen Kaiser Wilhelm II. gegenüber trat.
Der Reise vorausgegangen waren Ereignisse, die zu Verwicklungen zwischen beiden Staaten geführt hatten: die Ermordung deutscher Missionare, der Boxerkrieg, die Ermordung des deutschen Gesandten, die Entsendung des deutschen Expeditionscorps nach China. In der Berichterstattung nannte man den Deutschlandbesuch des chinesischen Prinzen eine Sühnegesandtschaft.
Nachdem die diplomatische Form erfüllt war, galten der Prinz und seine Begleiter als Gäste aus einem fernen Land, denen man mit der ihnen gebührenden Achtung begegnete. Man zeigte ihnen nicht nur die Sehenswürdigkeiten der Reichshauptstadt, sie besuchten auch andere Teile des Landes: Stettin, Danzig, Hamburg, das Ruhrgebiet.
Am 25. September reisten die Chinesen mit dem Schnellzug über Koblenz und Bingerbrück nach Saarbrücken, wo der Prinz im Hotel „Rheinischer Hof" abstieg. Am folgenden Tag besuchte er die Grube Gerhard in Obervölklingen. Dazu gibt es in dem Buch „Völklingen. Vom Königshof zur Hüttenstadt" von Hans Peter Buchleitner einen zeitgenössischen Bericht:
„Seit zwei Tagen hatte man auf dem Josepha-Schacht der Grube Gerhard alles festlich geschmückt und die notwendigen Vorbereitungen zu dem Prinzenbesuch getroffen. Auf dem mit Fahnen und Girlanden reich geschmückten Zechenplatz hatten zahlreiche Beamte von sämtlichen Gruben des Saarreviers mit der Inspektionsfahne und der Bergkapelle der Grube „Gerhard" Aufstellung genommen, eine Ovation, die den Beifall der fremdländischen Gäste zu finden schien. Zum Transport der Gäste unter Tage hatte man eigens einen Grubenwagen gebaut, den man mit Sackleinen auspolsterte. In diesem sonderbaren Wagen beförderte man die Gäste in tiefer Erde bis nach Püttlingen, wo die erlauchte Gesellschaft durch den Viktoria-Schacht wieder ausfuhr. Die Bergkapelle, die eben erst bei der Einfahrt am Josepha-Schacht aufgespielt hatte, war bereits bei der Ausfahrt wieder zur Stelle, um die Gäste nach glücklich überstandener Grubenfahrt zu begrüßen. Im Beamtenkasino der Grube Viktoria vereinigten sich dann sämtliche Teilnehmer der Fahrt zu einem Imbiß. Und nachmittags, gegen 15 Uhr, bestiegen Prinz Tschun und sein Gefolge wieder ihre Wagen, um die Weiterfahrt anzutreten. Der Wagen des Prinzen aber wurde durch eine Abteilung der Saarbrücker 7. Dragoner eskortiert."
Am 29. September trat Prinz Tschun mit seiner Begleitung die Heimreise nach China an.
An die Grube Gerhard erinnert die Gerhardstraße im Völklinger Stadtteil Heidstock. Die Grube Luisenthal in Obervölklingen wurde vor einigen Jahren stillgelegt. Seit dem 1. Juli dieses Jahres werden im Saarland keine Kohlen mehr gefördert. Die Fördermenge der Zechen in Nord-Rhein-Westfahlen reicht nicht aus, den Bedarf der deutschen Industrie zu decken. Deutschland führt Steinkohle ein, auch aus China.
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- Vorschaubild: RitaDadder
- Das Foto im Text stammt aus dem Buch: Hanspeter Buchleitner, Völklingen. Vom Königshof zur Hüttenstadt. Erschienen im Selbstverlag der Stadtverwaltung 1950.