Das Haus und das Geschäft gehörten zwei ledigen Schwestern, Katharina und Anna, die einige Jahre älter waren als meine Eltern. Anna war meistens im Laden, Katharina kümmerte sich mehr um Haus und Garten. Bei ihnen lebte ihr Vater, damals schon ein sehr alter Mann. An schönen Sommertagen stellte Katharina ihm einen Stuhl vors Haus in den Schatten. Er stützte sich auf seinen Stock, auf dem Kopf hatte er ein rundes Käppchen aus dunklem Samt, das mit einer bunten Blumenstickerei verziert war.
Da saß er nun eine Stunde oder zwei und schaute, was sich auf der Straße zutrug. Mancher Vorübergehende blieb um ein Schwätzchen bei ihm stehen. Wie auch heute noch wird es um die alten und die modernen Zeiten gegangen sein.
Der alte Mann erinnerte sich nicht nur an den Weltkrieg - er hieß noch nicht der Erste, es war ja noch vor dem Zweiten - sondern sogar an den Krieg 70. So nannte man damals den deutsch-französischen Krieg von 1870/71.
„Damals waren die Franzosen auf der Huhnaschär", pflegte er zu erzählen, „da haben sie ihre Kanonen aufgestellt und auf Völklingen herunter geschossen. Sie haben das Knappschaftskrankenhaus getroffen. Das war damals ganz neu. Vielleicht haben sie auf den Bahnhof gezielt. Ich habe den Kanonendonner gehört und den Rauch gesehen."
Ein Gedenkstein, der später an der Stelle aufgestellt wurde, erinnert an das Ereignis. Es war am 2. August 1870, vier Tage vor dem Kampf um die Spicherer Höhen. Auf einer Tafel an der Rückseite des obeliskförmigen Denkmals steht der Name eines Soldaten aus Fürstenhausen, eines Angehörigen des 40. Füsilierregiments, der am 6. August 1870 beim Kampf um die Spicherer Höhen gefallen ist. Er war einer von mehr als 800 deutschen Toten bei diesem Kampf.
Auf dem Hühnerscharberg über Fürstenhausen werden die Franzosen nicht nur ihre Kanonen aufgefahren haben, sie werden sie durch Infanterie gesichert haben. Zogen sie sich nach der Beschießung des Dorfes Völklingen zurück, oder verzichteten die Preußen darauf, diese Stellung auf dem Berg anzugreifen? Man mag sich gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn die Soldaten mit dem Gewehr in der Hand und dem Tornister auf dem Rücken an einem heißen Augusttag diesen mehr als 100 Meter steil aufsteigenden Hang hätten erstürmen sollen. Es wäre dasselbe Desaster geworden wie bei Spichern.
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* Das Bild vom Knappschaftskrankenhaus Völklingen ist entnommen dem Buch:
Völklingen. Vom Königshof zur Hüttenstadt. Erschienen im Selbstverlag der Stadtverwaltung 1950. (Text von Hanspeter Buchleitner. Bilder von den Völklinger Fotogeschäften Hoffmann und Paar u. a.).
Fotos: Hans Herkes