Die Eingriffe in die erzieherischen Kompetenzen durch Parteifunktionäre und die "Einvernahme" der Lehrerinnen und Lehrer nahm in der Folge groteske Formen an:
Leute maßten sich Urteile über schulische Belange an, denen man ihrer Persönlichkeit nach ein Recht dazu absprechen mußte. Neben dem Kreisschulrat standen der Kreis- und der Ortsgruppenleiter als "Hoheitsträger" der Partei. Ihnen folgten der/die Untergauführer(-in), Bann- und Gebietsführer(in) der HJ und des BdM, nicht zuletzt auch der Leiter der "Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt" NSV. Letzterer entschied selbstherrlich bei der Auswahl und Unterbringung erholungsbedürftiger Kinder sowie bei dem Einsatz der Jugend in der Landhilfe und im Landdienst. Die getroffenen Anordnungen waren "dienstliche Befehle" für die Schule, wollte sie sich nicht dem Verdacht einer feindseligen Einstellung gegen Partei und Staat aussetzen. Um in diesen Verdacht zu kommen genügte schon ein falscher Zungenschlag oder ein Wort der Kritik ...
Bespitzelungen auf Schritt und Tritt waren an der Tagesordnung, selbst vor seinen Berufsgenossen war man nicht sicher, soweit sie Parteimitglied waren, denn als Pg. (Parteigenosse) hatten sie ausdrücklich die Verpflichtung übernommen, alles das zur Kenntnis der Partei zu bringen, was als feindselige Einstellung angesehen werden könnte.
Wer sich als Lehrer den Forderungen der Partei widersetzte oder gegen seine "Einvernahme" wehrte oder gar Kritik äußerte, mußte mit dem rücksichtslosen Psychoterror der Partei rechnen, d. h. er war ständigen Drangsalierungen ausgesetzt, wurde zu jeder Tages- und Nachtzeit zum "Verhör" geholt und schließlich der Maschinerie der Gestapo überantwortet. Schmitt zitiert hierzu das Beispiel eines Heiligenwalder Lehrers, der sich zu widersetzen versuchte:
Vor die Gestapo zitierte man den Lehrer München, der dann am 16. März 1938 von seinem Amt suspendiert wurde: "Sie werden hiermit mit sofortiger Wirkung wegen ihres feindseligen Verhaltens gegen Partei und Staat bis auf weiteres von ihrem Amt beurlaubt!"
Als weiteres Beispiel dafür, wie das Berufsleben und das private Leben reglementiert und kontrolliert wurde, und mit welchen Druckmitteln die Machthaber - in diesem Fall örtliche Parteifunktionäre - den Menschen das Leben schwer machten, und welche Rolle die Bespitzelung und die gegenseitige Denunziation damals spielte, berichtet Schmitt über die Kündigung eines Zeitungsabonnements und deren Folgen:
Am 24.12.1935 wurde allen Beamten der Bezug der nationalsozialistischen Tagespresse zur Pflicht gemacht. Für uns war das der Bezug der NSZ-Rheinfront, das amtliche Organ des Gauleiters. Zum Oktober 1936 kündigten nun vier Lehrerinnen, die nicht Mitglied des NSLB waren, ihre Abonnements. Dies hatte eine kleine Staatsaktion im Gefolge. Der Ortsgruppenleiter ... erstattete Anzeige bei der Schulabteilung wegen antinationalsozialistischer Einstellung der Lehrerinnen und forderte zugleich strenge Maßregelung (Versetzung!). Der zuständige Kreisschulrat Röder wurde am 15. 10. durch eine geharnischte Verfügung des Direktors der Schulabteilung aufge-fordert, sofort an Ort und Stelle eine dienstliche Vernehmung der Lehrerinnen vorzunehmen und umgehend Bericht zu erstatten. Röder tat dies in sehr loyaler und zuvorkommender Weise, gab Fingerzeige und Ratschläge über die Formulierung der Verteidigung. Schneller als erwartet traf schon nach wenigen Tagen die Antwort der Regierung ein: Ich freue mich, feststellen zu können, daß die Abbestellung nicht aus Gegensätzlichkeit zum Nationalsozialismus erfolgte und werde mich nun mit der örtlichen Parteileitung auseinandersetzen. Ich bitte jedoch die Lehrerinnen zu überlegen, ob sie neben ihrer Zeitung nicht auch das Organ des Gauleiters (!) bestellen können." Diesem Bescheid der Regierung legte der Schulrat ein persönlich gehaltenes Glückwunschschreiben an den Rektor zur Kenntnisnahme durch die Lehrerinnen bei: Mein Lieber! Heil und Sieg! Wie Du siehst, kann man auch im nationalsozialistischen Staat, wenn man sich zur Wehr setzt, zu seinem Recht kommen." Daraufhin das tragische Ende: Dieser Zettel des Schulrates wurde vom Schreibtisch des verschlossenen Rektorzimmers in der Schule entwendet und landete über der Ortsgruppenleitung bei der Kreisleitung in Neunkirchen. Kreisleiter Schäfer erblickte in dem Begleitschreiben des Schulrats eine Verächtlichmachung der Partei und der Regierung. Er setzte die dienstliche Vernehmung des Schulrates durch und schließlich dessen Pensionierung!
Auch das folgende Beispiel zeigt die Allmacht der Partei und wie unverfroren von ihren Vertretern Druck auf Schule und Lehrerschaft ausgeübt wurde, um das gesamte Erziehungswesen als Indoktrinationsinstrument zur Verfügung zu haben:
In den Augusttagen des Jahres 1935 wurde die gesamte Lehrerschaft von dem l6-jährigen HJ-Führer K.N. zu einer "wichtigen" Besprechung durch die Ortsgruppenleitung in die Turnhalle eingeladen. Hierbei eröffnete er uns, daß wir in Zukunft die Kinder noch lediglich im Lesen, Schreiben und Rechnen zu unterrichten hätten, die Erziehung der Jugend aber sei die alleinige Aufgabe der HJ (Hitlerjugend).
Neben solchen ungestraften Kompetenzanmaßungen gab es auch durch die Parteiführung bewußt gesteuerte Kompetenzüberlagerungen, wie sie übrigens ja auf allen Ebenen des Dritten Reiches vorhanden waren: Die Betreuung und staatspolitische Erziehung der Kinder im vorstaatsjugendpflichtigen Alter von 6-10 Jahren wurde zur wesentlichen Aufgabe der NS-Frauenschaft erklärt.
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*) Text und Foto aus:
Horst Wilhelm: „Die Schule im Dorf", Rita Dadder Verlag, Saarbrücken, 1989