Der Versailler Vertrag galt für die meisten Deutschen als Diktatfrieden und eine unvorstellbare Demütigung. Sicherlich hatten das auch viele Menschen im Saarbecken so empfunden, zumal sie vom übrigen Deutschland abgetrennt wurden und einer ungewissen Zukunft entgegengingen. Dennoch sind die Pariser Verträge ursächlich für die Entstehung des heutigen Bundeslandes, manche sprechen gar von der Geburtsurkunde des Saarlandes.
Die drei wichtigsten Protagonisten bei den Vertragsverhandlungen hatten dabei ganz unterschiedliche Interessen. Der britische Premierminister, David Lloyd Georges, hatte zuvor im englischen Wahlkampf noch versprochen, die „deutsche Zitrone auszupressen, bis die Kerne quietschen“. Das war allerdings vor allem Wahlkampfrhetorik. Denn tatsächlich wusste der britische Premier, dass Deutschland als künftiger Handelspartner für England gebraucht werden würde. Andererseits sollte es ein geopolitisches Gegengewicht zu der wirtschaftlich und militärisch erstarkenden kommunistischen Sowjetunion bilden.
Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson hatte noch während des Krieges einen 14-Punkte-Plan entwickelt, der die territoriale Integrität der europäischen Staaten und das Selbstbestimmungsrecht der Völker beinhaltete. Er sah allerdings die Rückgabe Elsass-Lothringens, das nach dem deutsch-französischen Krieg 1871 vom Deutschen Reich annektiert wurde, an Frankreich vor. Der amerikanische Präsident wollte keine Rache an den Deutschen, er wollte eine gerechte Friedensordnung für die Welt schaffen.
Nicht so der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau. Er sah
die Stunde der Abrechnung gekommen, er wollte Rache und das verhasste
Deutschland am Boden sehen. Außerdem pochte er auf Sicherheit vor dem
Erbfeind im Osten. Tatsächlich hatte Frankreich die Hauptlast des Ersten
Weltkrieges im eigenen Lande zu tragen. Der, mit Maschinenwaffen
geführte, barbarische Stellungskrieg hatte Frankreich nicht nur 1,4
Millionen gefallene Soldaten gekostet. Im Krieg wurden ebenfalls 4000
Ortschaften und 20.000 Industrieanlagen zerstört sowie 220 Grubenanlagen
geflutet. Frankreich wollte Reparationen, um diese immensen
Kriegsschäden auszugleichen. Deutschland hatte dem gegenüber kaum
Kriegsschäden, aber zwei Millionen gefallene Soldaten zu beklagen.
Dennoch sah es so aus, als könnte Deutschland, der militärische
Verlierer, als wirtschaftlicher Sieger das Schlachtfeld verlassen. Das
kam für Clemenceau aber keinesfalls in Frage, zumal er die
wirtschaftliche Dominanz Deutschlands in der Zukunft fürchtete. Er wollte volle Entschädigung und hatte sich schon, im Vorgriff auf den
Friedensvertrag, die Saargruben angeeignet und an der Saar eine
Militärverwaltung eingerichtet. Seiner Vorstellung nach sollte der Rhein
zukünftig die „natürliche“ Grenze zwischen Frankreich und Deutschland
bilden und auf der linken Rheinseite eine selbstverwaltete Rheinische
Republik entstehen. Rechtsrheinisch wollte er eine 50 Kilometer breite
entmilitarisierte Zone, um dem Sicherheitsbedürfnis der Franzosen
Rechnung zu tragen.
Der Streit um die Saarfrage eskalierte, so dass Wilson den Franzosen mit Abreise drohte, sollte Frankreich auf seiner Forderung nach Annexion des Saargebietes bestehen. Würde aber der amerikanische Präsident die Pariser Konferenz verlassen, so hätte das das Scheitern des gesamten Friedensvertrages bedeutet. Um seinem Vorhaben Nachdruck zu verleihen, ließ Wilson sein Schiff, die George Washington, die in Brest vor Anker lag, seeklar machen und für seine Abreise vorbereiten. Er ließ das dann auch noch an die Presse durchsickern, um so den Druck auf Clemenceau noch einmal zu erhöhen. Der Erfolg der Pariser Friedenskonferenz stand einen Augenblick auf des Messers Schneide. Schließlich gaben die Franzosen nach und man einigte sich in der Nacht vom 9. auf den 10. April 1919 auf einen Kompromiss, der später in den Artikeln 45 bis 49 des Friedensvertrages festgeschrieben wurde und als „Erstes Saarstatut“ in die Geschichte einging. Danach wurde das Saarbeckengebiet (französische Bezeichnung: Territoire du Bassin de la Sarre) unter die Verwaltung des Völkerbundes gestellt. Frankreich wurden für fünfzehn Jahre die Eigentumsrechte an den Kohlegruben des Saarbeckens zugesprochen. 1935 sollte die Bevölkerung dann in einer Volksabstimmung über ihr eigenes Schicksal bestimmen können. Am 10. Januar 1920 trat dann der Versailler Vertrag in Kraft und eine fünfköpfige internationale Kommission nahm die Aufgaben einer Regierung wahr. Die 770.000 Bewohner an der Saar, die zuvor zu Preußen und Bayern gehörten, bildeten nun eine neue politische Einheit, und allmählich begannen die Menschen eine eigene Identität als Saarländer zu entwickeln.
Auch im Nachhinein ist es schwer vorstellbar, dass der Versailler Vertrag an der Saarfrage gescheitert wäre, zumal es noch ganz andere strittige Punkte gab, die in Versailles einer Lösung zugeführt werden mussten. Trotz seines Erfolges in der Saarfrage ging Wilson nach Meinung vieler Historiker als Verlierer vom Platz. Tatsächlich hat der Versailler Vertrag der Welt keine Friedensordnung gebracht, die von den meisten Teilnehmern wohl auch nicht gewollt war. Deshalb wurde bereits in Versailles die Saat für einen weiteren, noch schlimmeren Krieg gelegt.
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Bildquellen:
- Vorschaubild: Unterzeichnung des Versailler Vertrages 1919,
Gemälde von John Christen Johansen (1876-1964), Öl auf Leinwand, National
Portrait Gallery, Smithsonian Institution, via wikimedia commons
- Bild 1 und 2, Wikipedia, gemeinfrei
- Bild 3, Staatsbibliothek zu Berlin
- Plakat, entnommen: G. Paul und R. Schock, Saargeschichte im Plakat 1918 - 1957, erste Auflage 1987