Was hat die mittelalterliche Stadt mit dem Turm vor der Mauer mit dem am Anfang des 17. Jahrhunderts im Warndt entstandenen Dorf Ludweiler zu tun? Eigentlich gar nichts! Bis auf eine Kleinigkeit vielleicht, ein einziges Wort, das im 18. Jahrhundert eine in dem Turm von Aigues-Mortes, eingekerkerte Frau - der Turm diente als Staatsgefängnis - mit ihrer Schere in die Wand ritzte und das im 19. Jahrhundert ein Steinmetz in den Treppenaufgang der Kirche in Ludweiler meißelte: RESISTEZ, widersteht!
Marie Durand, so hieß die Gefangene, war mit fünfzehn Jahren eingesperrt worden, weil sie wie ihre ganze Familie der Religion Calvins anhing und sie praktizierte, nachdem das Toleranzedikt von Ludwig XIV. aufgehoben worden war. Fortan sollte in Frankreich gelten: un roi, une loi, une foi. Auf Deutsch reimt es sich nicht: ein König, ein Gesetz, ein Glaube.
Dem widersetzten sich die Calvinisten, die man in Frankreich Hugenotten nannte. 38 Jahre lang dauerte Maries Haft, sie widerrief ihren Glauben nicht, im Gegenteil, sie bestärkte ihre Mitgefangenen im Widerstand. War eine nahe daran, schwach zu werden und aufzugeben, rief sie ihr „résistez!" zu.
Auch die Angehörigen der lothringischen Hugenottengemeinde Chaussy so wie anderer im Metzer Land traf die Verfolgung. Manche entzogen sich ihr durch Auswandern. So kamen Hugenotten in den Warndt und mit ihnen die Glasindustrie in diesen Landstrich.
Die Zurückgebliebenen hatten strenge Einschränkungen zu ertragen: keine Kirchen mehr, keine Priester ihres Bekenntnisses, keine Gottesdienste. Sie hielten ein Jahrhundert lang durch, vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution. Einmal im Jahr, im Monat September machten sich manche von ihnen heimlich auf den Weg ins 50 Kilometer entfernte Ludweiler, das außerhalb der Grenzen des Königreiches Frankreich in der Grafschaft Nassau-Saarbrücken lag, um dort mit ihren Glaubensgenossen am Gottesdienst der Gemeinde teilzunehmen, das Abendmahl zu nehmen, die Kinder zu taufen und die Ehen einsegnen zu lassen.
In Erinnerung an diese Zeit, aber im Zeichen religiöser Toleranz unternahm es der Conseil Protestant de la Région Messine (etwa: Protestantischer Regionalrat des Metzer Landes) 1986, auf dem sentier des Huguenots, dem Hugenottenweg, von Courcelles-Chaussy nach Ludweiler zu wandern. Seitdem wird die Wanderung jedes Jahr durchgeführt.
Sie beginnt an der Kaiserkirche in Courcelles-Chaussy. Wilhelm II., der in unmittelbarer Nähe des Ortes das Schloss Urville erworben hatte, ließ sie 1895 an der Stelle einer älteren Hugenottenkirche erbauen. Die kaiserliche Familie hatte durch einen besonderen Eingang Zutritt zu ihren Plätzen in der Kaiserloge rechts vom Altar. Die saarländische Keramikfirma Villeroy & Boch hatte die mit dem Kaiseradler gezierten Wandfliesen geliefert. Ziel der Wanderung ist die 1786 erbaute Hugenottenkirche in Ludweiler.
Die erste Wanderung im Jahr 1986 nannten die Initiatoren „marche Marie Dubois". Damit wollten sie an ein junges Mädchen aus Metz, eine Hugenottin, erinnern, die wegen ihrer religiösen Überzeugung verfolgt worden war und fliehen musste. Der anderen Marie, die im Turm von Aigues-Mortes gefangen war, und ihrem Befreier, dem Fürsten von Beauvau, Gouverneur des Languedoc, hat in den 1950er Jahren eine deutsche Schriftstellerin, Gertrud von Le Fort, selbst Nachfahrin einer französischen Hugenottenfamilie, mit der Erzählung „Der Turm der Beständigkeit" ein literarisches Denkmal gesetzt
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Quellen:
- Archibald Lyall: Midi. Ein Führer durch Frankreich am Mittelmeer.
- Albert Ruppersberg: Geschichte der ehemaligen Grafschaft Saarbrücken.
- Gerhild Krebs, Historischer Hugenotten-Wanderweg. Aus: Rainer Hudemann, Stätten grenzüberschreitender Erinnerung.
- Niels Wilcken, Metz et Guillaume II.
- Gertrud von Le Fort, Der Turm der Beständigkeit.
Bilder:
- Vorschaubild: Hugenottenkreuz (Logo gemeinfrei)
- Foto "Hugenottenkreuz am Treppenaufgang der Ludweiler Kirche": Hans Herkes
- Foto: Die Hugenottenkirche in Ludweiler": Hans Herkes
- Die Tafel mit Karte des Hugenottenweges befindet sich am Warndtweiher bei Ludweiler (Eigentum des Stadtverbandes Saarbrücken). Foto/Fotobearbeitung: Rita Dadder.