Der inzwischen verstorbene, im Saarland sehr beliebte Musiklehrer, Chorleiter, Liederkomponist und Akkordeonspieler Alfons Sibille hat mir einmal erzählt, dass er mit seinem Motorrad nach Rom gepilgert sei und unterwegs alle Kirchen und Kapellen besucht habe, die an der Spitze einer Weggabelung lagen. Er sei erstaunt darüber gewesen, wie viele dabei zusammengekommen waren. Sein erster Halt fand in Habkirchen im heutigen Landkreis Homburg an der dortigen Annakapelle statt.
Die Heilige Anna, der die Kapelle geweiht ist, war nach kirchlicher Überlieferung die Mutter der Gottesmutter Maria und damit die Großmutter von Jesus Christus. Sie wird unter anderem als Patronin der Familien, der Gewerbetreibenden und der Bergleute verehrt. Außerdem gilt sie als Schutzpatronin bei Gewittern. Auch der junge Martin Luther, der am 2. Juli 1505 nur knapp einem Blitzschlag entging, hat sie angerufen und ihr für seine Rettung gedankt. Ihr (katholischer) Gedenktag ist der 26. Juli.
Die Verehrung von St. Anna nahm seit dem 13. Jahrhundert in Europa einen beachtlichen Aufschwung. Zu ihren Ehren errichtete man tausende Altäre, Statuen und Andachtsstätten, darunter auch die Annakapelle in Habkirchen. Sie wurde aus Bruchsteinen erbaut und diente als Pilgerkapelle. Im Jahr 1239 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt. Bis zum Jahr 1939 war die Kapelle jährlich um den Annatag (26. Juli) herum Zentrum des regional bedeutsamen 3-tägigen Annamarkts. Nach der fast vollständigen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde sie 1947 im Barockstil neu aufgebaut. Zuletzt renoviert wurde sie durch einen Förderverein der Dorfgemeinschaft Habkirchen in den Jahren 2006 und 2008.
Die Kapelle besteht aus einem rechteckigen Gebetsraum, einem halbrunden Chor und einem kleinen Glockenturm, der eine Glocke aus dem Jahr 1512 beherbergt.
Im Chorraum befindet sich ein geschnitzter Holzaltar mit den Figuren der Heiligen Anna und ihrer Tochter Maria aus dem 18. Jahrhundert.
Rechts
davon, an der Außenwand, steht auf einem kleinen Podest eine Holzfigur
des Heiligen Leonhard von Limoges aus dem 15. Jahrhundert. Der Heilige,
der auch Leonhard von Noblat genannt wird, stammte aus dem fränkischen
Hochadel und lebte im 6. Jahrhundert als Eremit in der Nähe von Limoges
im nordwestlichen Zentralmassiv in Frankreich. Er wird als Nothelfer
gegen Kopfschmerzen und als Schutzpatron für Landwirtschaft und
Viehhaltung und auch für Bergleute verehrt. Weil er der Legende nach
durch sein Gebet Gefangene von ihren Ketten befreit hat, wird er
meistens mit Ketten abgebildet.
Im Jahr 1745 wurde vor dem Altarraum links ein Seitenaltar errichtet, gewidmet einem Heiligen, der mit S. Rudolphus, O·P·N gekennzeichnet ist. Die Holzskulptur hält einen Bischofsstab in der rechten Hand und ist damit klar ausgewiesen als Hl. Rudolf von Gubbio (ca. 1032-1064). Er stammte aus einer wohlhabenden Familie, trat als junger Mann in das Benediktinerkloster Fonte Avellana ein und wurde wenige Jahre später zum Bischof der Stadt Gubbio in Umbrien gewählt. Als Weggefährte des Heiligen und Kirchenlehrers Petrus Damiani engagierte er sich als Kirchenreformer und für mehr Sittenstrenge in Klöstern und beim Klerus.
Das O·P·N unter seinem Namen ist keine Ordensbezeichnung, sondern steht für „Ora Pro Nobis“ („Bitte für uns“).
Die Skulptur des Heiligen wurde 2001 von Gottfried Langenbahn geschnitzt und ersetzt die ursprüngliche Figur, die bereits um 1900 verloren ging. Zwischenzeitlich war die Figur des Heiligen Leonhard, die sich heute im Chorraum befindet, auf dem Altar aufgestellt.
Im Gebetsraum stehen auf kleinen Podesten an den Wänden weitere Figuren,
u. a. eine Statue des Heiligen Antonius von Padua (ca. 1190-1231).
Umgekehrt als man dies von anderen Abbildungen gewohnt ist, hält der
Franziskaner das Jesuskind in seinem linken Arm und in der rechten Hand
eine Lilie.
Bei den kleinen Holztafeln an den Seitenwänden der Kapelle handelt es sich um Kreuzwegstationen, die der Pfarrei Habkirchen im Jahr 1949 von dem lothringischen Kloster in Neufgrange geschenkt wurden, nachdem im Kloster die Stationen durch Neuanfertigungen ersetzt worden waren.
Außen an der Südostseite der Kapelle befindet sich ein Sandsteinkreuz aus dem Jahr 1811, auf dem die Reliefs der Mutter Gottes und der Heiligen Katharina von Alexandrien zu sehen sind. Katharina ist eine der bekanntesten Heiligen. Sie lebte der Legende nach Ende des 3. und Anfang des 4. Jahrhunderts. Sie war eine hochgebildete Frau, die zu ihren Eltern gesagt hatte, dass sie nur einen Ehemann akzeptieren würde, der ihr überlegen sei. Wenig später bekehrte sie sich zum Christentum und bekannte sich zu Jesus, für den sie wirkungsvoll Zeugnis ablegte. Der römische Kaiser ließ sie daraufhin grausam foltern, rädern und schließlich enthaupten.
Das steinerne Kreuz an der Außenwand der Kapelle steht, ebenso wie die Skulpturen im Inneren, unter Denkmalschutz.
Man sieht es ihr im Vorbeifahren nicht gleich an, aber die kleine, schon früh bedeutsame St-Anna-Pilgerstätte, die heute mitten auf einer Verkehrsinsel steht, birgt viel Sehenswertes.
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Fotos: Rita Dadder