Um Warkens Leistungen richtig würdigen zu können, muss man sich in die sozialen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts zurückversetzen. Der größte Teil der saarländischen Arbeitnehmer war damals im Bergbau oder in der damit eng verbundenen Hüttenindustrie beschäftigt. Die Löhne waren niedrig, die Arbeitsbedingungen hart, die soziale Sicherheit kaum ausgeprägt. Der saarländische Großunternehmer Carl Ferdinand Stumm (1836-1901), von einigen als „König" oder „Scheich von Saarabien" betitelt, nahm als Reichstagsabgeordneter großen Einfluss auf die Bismarcksche Politik und die Gesetzgebung des Reichstags. Er bekämpfte Gewerkschaftsbildungen (s. Artikel: An meine Arbeiter) und wurde dabei auch von Kollegen und manchen gesellschaftlichen Gruppen unterstützt. Wer von seinen Arbeitern Mitglied in einer Gewerkschaft wurde, dem kündigte er. Da sich die Arbeitgeber untereinander verständigten, hatte der Betroffene praktisch keine Möglichkeit mehr, anderswo einen neuen Arbeitsplatz zu bekommen.
Weil die Gewerkschaften damals zum Teil auf marxistischem und atheistischem Gedankengut gründeten, wurden sie auch von der katholischen Kirche abgelehnt. (Erst 1901 kam es dann auch zur Gründung eines Gesamtverbandes christlicher Gewerkschaften). Die Folge war, so wird glaubwürdig erzählt, dass manche Priester beim Gottesdienst solchen Männern, die als Gewerkschaftsmitglieder bekannt waren, den Empfang der Hl. Kommunion verweigerten. Wenn sie zur Kommunionbank kamen wurden sie übersprungen, bzw. „überhupst", wie man im nördlichen Saarland sagte. Viele der saarländischen Arbeiter waren gläubige Katholiken. Sie litten sehr unter dieser Behandlung.
Der am 26 Dezember 1851 in Hasborn (Kreis St. Wendel) geborene Bauernsohn Nikolaus Warken arbeitete seit 1867 im Kohlenbergwerk „Helenenschacht" in Friedrichsthal. Die Grube befand sich im Besitzt des preußischen Staates. Warken gehörte zu den sogenannten „Saargängern", im nördlichen Saarland auch als „Hartfüßer" bezeichnet. Das waren jene Berg- oder Hüttenarbeiter, die wochentags - meist mehr als zehn Stunden - in den weit von ihren Heimatgemeinden entfernt gelegenen Betriebstätten arbeiteten und dann zu den Sonntagen zu Fuß nach Hause marschierten, um wenigstens einige Stunden mit ihren Familien verbringen zu können. Während der Woche übernachteten sie meistens in sogenannten Schlafhäusern, die von den Arbeitgebern in der Nähe der Betriebe errichtet worden waren und deren „Komfort" sich auf das Notwendigste beschränkte. Nikolaus Warken übernachtete in der Dachkammer eines Bergmannshauses in Bildstock.
Er war ein gläubiger und bescheidener Mann und kein Revoluzzer. Er gehörte der Hasborner St. Barbara-Bruderschaft an, und sein Bürgermeister bescheinigte ihm, dass sein Betragen, „stets ruhig und gut" sei und er in geordneten Familienverhältnissen lebe. Friedrich Engels, Co-Autor des Kommunistischen Manifests, bezeichnete ihn als „unsicheren Burschen" den man sich „abwirtschaften" lassen müsse.
Was Warken zum Arbeiterführer werden ließ, waren keine ideologischen Gründe, sondern die schreienden sozialen Missstände seiner Zeit. Zu denen kam noch hinzu, dass die - meist nicht aus dem Saarland kommenden - Steiger in den Kohlengruben sehr anmaßend und hochfahrend mit den ihnen unterstellten Bergleuten umzugehen pflegten. Der Volkswitz im Saarland hat diese Haltung sehr bissig eingefangen (s. Artikel: Vom saarländischen Selbstbewusstsein). Seinen Beinamen „Eckstein" bekam Nikolaus Warken, weil er, als ein Steiger ihn und einige seiner Kollegen jäh beim Skatspiel unterbrechen wollte, unbeeindruckt ausrief „Eckstein ist Trumpf". (Für Nicht-Saarländer: Die Farbe „Eckstein" wird im übrigen Deutschland meist als „Karo" bezeichnet.) Der von Warken im Mai 1889 geleitete Streik, der unter der Parole „Einer für alle, alle für einen" lief, mobilisierte mehr als 11.500 Bergleute. Das entsprach etwa 40 % der Betroffenen. Wie zu befürchten, wurde Nikolaus Warken „wegen hervorragender agitatorischer Tätigkeit" gekündigt.
Am 28. Juli 1889 wurde der „Rechtsschutzverein für die bergmännische Bevölkerung des Oberbergamtsbezirks Bonn" gegründet. Sein Schwerpunkt lag im Saarland. In Bildstock wurde als zentrale Anlaufstelle 1891/92 der „Rechtsschutzsaal" erbaut, der heute noch als Kulturdenkmal erhalten ist. Er war das erste Gewerkschaftshaus im Deutschen Reich. Finanziert wurde er durch die Eigeninitiative der Vereinsmitglieder, die jeweils eine Reichsmark und zwei Backsteine zur Errichtung beitrugen. Mehr als 20.000 Bergarbeiter traten dem Verein bei. Das entsprach einem Organisationsgrad von 68 Prozent. Nikolaus Warken wurde zum 1. Vorsitzenden gewählt. Auf Anraten des katholischen Priesters und Publizisten Friedrich Dasbach (der u.a. auch das Trierer Bistumsblatt „Paulinus" gegründet hat) wurde als Statut dasjenige des 1883 gegründeten „Rechtschutzvereins für die bergmännische Bevölkerung des Oberbergamtsbezirks Dortmund" wörtlich übernommen. Es war wesentlich durch Gedanken der Christlichen Sozialethik geprägt.
Nach einem weiteren Streik im Saarrevier im Dezember 1889 wurden Warken und andere Streikführer auf Veranlassung des Leiters des preußischen Oberbergamts in Bonn wieder als Bergleute angestellt. Warken blieb weiterhin gewerkschaftlich aktiv. Schon 1891 entwarf er die Idee einer „Einheitsgewerkschaft", die unabhängig von Parteien und Konfessionen als Selbsthilfeorganisation wirken solle. Dennoch geriet er zwischen Mühlsteine von Ideologien, Parteiinteressen und Wirtschaftsmächten.
1893 legte er seine Ämter im Rechtsschutzverein nieder und zog sich in seine Heimatgemeinde Hasborn zurück. Dort betrieb er bis zu seinem Tod die von seinem Vater geerbte kleine Landwirtschaft und besserte sein geringes Einkommen durch den Verkauf von Fotografien und Bilderrahmen auf. Am 24. August 1920 ist er in Hasborn gestorben. Bis heute gilt er als herausragender Exponent der Gewerkschaftsbewegung sowie der Christlichen Soziallehre an der Saar.
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Bildquellen:
- Vorschaubild: Foto-Portrait von Nikolaus Warken genannt "Eckstein". Quelle Stiftung für Wohnungsbau der Bergarbeiter. Datum: um 1910.
- Bergmänner im Stollen. Bundesarchiv, B 145 Bild-F009346-0008 / Steiner, Egon / CC-BY-SA, via Wikimedia Commons
- Plakette des Warken-Ecksteinwegs am Rechtsschutzsaal in Bildstock (2010). Fotograf: Frank C. Müller, Baden-Baden. Lizenz CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.
Der 35 km lange Wanderweg führt von Warkens Geburtsort Hasborn zum Denkmal am Rechtsschutzsaal in Bildstock.
- Rechtsschutzsaal in Bildstock 2011. Fotograf: EPei, Lizenz CC-BY-SA-3.0; via Wikimedia Commons.
- Gedenktafel für Nikolaus Warken am Rechtsschutzsaal in Bildstock (2010). Fotograf: Frank C. Müller, Baden-Baden, Lizenz: CC-BY-SA 3.0. via Wikimedia Commons.