Dennoch gilt Ludwig Scharfs im Jahre 1882 veröffentlichter Gedichtband „Lieder eines Menschen" als eines der bedeutendsten Werke des deutschen Naturalismus.
Scharf wurde am 2.Februar 1864 in Meckenheim/Pfalz (damals Königreich Bayern) geboren. Nach dem Tod des Vaters zog die Familie in dessen Heimatort Blieskastel, wo die Familie seit Generation am Schlossberg wohnte und wo Ludwig auch seine Jugend verbrachte.
Als Schüler verlor er einen Fuß, was ihn lebenslang zum Schwerbehinderten machte. In Blieskastel besuchte er die Königliche Lateinschule (heute: Von der Leyen-Gymnasium), sein Abitur legte er in Zweibrücken ab.
Nach seiner Übersiedlung nach München schloss er sich dort den "Elf Scharfrichtern" an, einer revolutionären Literatenvereinigung. Hier in München gehörte er bald zu den Zentralfiguren der „Münchner Moderne", die wie die Berliner und die Wiener Moderne, einer der Impulsgeber der modernen Kunst und Literatur vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg war. Hier war er auch mit dem saarländischen Maler Albert Weisgerber befreundet, der einige Portraits von ihm anfertigte.
Klaus Budzinski (Klaus Budzinski, Pfeffer im Getriebe, München 1982, in: *Saarpfalz, 2000, Heft 3, S.42 ff.) liefert uns ein Genrebild der Künstlerszene um 1900:
„....Der Simplicissimus, wie das Lokal schließlich heißen durfte, bot allen, die zur Selbstdarstellung drängten, eine Plattform für künstlerische Betätigung. Maler und Schreibende gaben für ein warmes Essen als Entgelt Eigenes zum Besten. Der St. Ingberter Maler Albert Weisgerber nahm abends statt des Pinsels die Klampfe. (......) Die höchste Gage- fünf Mark am Abend - erhielt der Lyriker Ludwig Scharf. Dafür hinkte er allabendlich mit seinem Holzbein, einen Stuhl hinter sich herziehend, auf den er sich stützen konnte, in die Mitte des Raumes und rezitierte in pfälzischer Aussprache mit effektvollem Schwung die wenigen Gedichte, die ihm gelungen waren. (....) Der Hausdichter im Simpel, Christian Morgenstern, schilderte den Betrieb so (aus: *Saarpfalz, 2000/3, S.44):
Der Simpel war vollbesetzt wie immer,
und mit der Zeit ward es noch schlimmer.
Denn schon um zehn saßen einige Damen
Wegen Mangels an Platz auf den Bilderrahmen.
Ich selbst stritt mich mit einem Dicken
Um einen Platz auf dem Telefon.
Es war eine schreckliche Situation
Und Tabaknebel zum Ersticken.
Und dann begann nach dem Musizieren
Herr Scharf Gedichte zu rezitieren..."
Hier ein Gedicht Ludwig Scharfs (aus: „Jugend", Nr.26/1905, in: *Saarpfalz,2000/3):
Die Wetterwolke
- Eine Impression aus dem Bliestal -
Hinten am Horizont
Steht wie ein ungeheures Schreckbild
Eine schwere schnaubende Wolke.
Heisser glühender Sand
Fährt in die Pausen
Sengend durch die Luft.
Was willst du hier und woher kommst du?
Aus welcher Gegend hast du dich verirrt
In meiner Heimat stilles Wiesental,
wo klein und unscheinbar die Blumen stehen
und die friedlichen Obstbäume blühen,
denen du bange machst?
Was willst du hier, du Wüstengeist?
Willst du Feuer niederregnen
Auf dies blühende Eden meiner Kinderträume,
dass die grünen Halme verdorren
und ihre Würzlein sich zum Tageslicht kehren?
Duckt euch, ihr Blumen und Pflanzen all
Und du buntes Getier!
Werft euch zu Boden und haltet den Atem an,
wenn es vorüberzieht,
das fremde feindliche Ungetüm!
Mag es die Meere aufwühlen,
dass die Bronnen der Erde rauchen!
Denn dort steht Kraft gegen Kraft
Und die Kräfte sind gleich!
Aber du, mein Tal,
wo die Zufriedenheit wohnt,
halte den Atem an,
dass du den Gluthauch nicht spürst,
bis es vorüber ist -
bis die Rosenwölkchen der Abendsonne
deinen Himmel verklären!
Ludwig Scharf zog mit der Malerin und Schriftstellerin Ella Somisch, die aus verarmtem ungarischem Adel stammte („e Gräfin mit geschdobbte Schdrimb"), auf deren Schloss in Südwestungarn, wo er am 21. August 1939 starb.
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Eine umfangreichere Abhandlung findet man in: *Hans Cappel, Ludwig Scharf - ein saarpfälzischer Dichter, Saarpfalz, Blätter für Geschichte und Volkskunde, 2000/3, Homburg/St. Ingbert 2000.
Bildquellen:
- Vorschaubild: entnommen: Saarpfalz-Kreis.de
- Ludwig Scharf, Porträt von Albert Weisgerber, 1905. (Fotografiert von EPei, Lizenz CC By-SA 3.0, via Wikimedia Commons)