Pater Wigbert (Albert Beckers) aus dem Kapuzinerkonvent St.Gangolf bei Besseringen an der Saarschleife hatte den Mund nicht gehalten, sondern gesagt, was er dachte. „Beleidigung des Führers und Verbreitung verbotener Witze", warf man ihm vor.
Es war im Dezember 1942. Der zweite Kriegswinter in Russland. Immer mehr Familien erhielten Nachricht von Gefallenen. Die sechste Armee war bei Stalingrad eingeschlossen, Im November waren die Amerikaner in Casablanca gelandet. Je kritischer die Lage, um so lauter die Durchhalte- und Siegesparolen der Propaganda. „Räder müssen rollen für den Sieg", stand auf einem großen Schild am Bahnhof. Weh dem, der es wagte, Zweifel am Endsieg zu äußern. „Wir siegen, wir siegen!" durfte man laut rufen. Im Dialekt von Mund zu Ohr geflüstert: „Mir sieche, mir sieche --- langsam dahin", war Defätismus, Wehrkraftzersetzung, ein Verbrechen, das schlimme Strafen nach sich zog. Es brauchte sich nur noch ein Denunziant zu finden, ein Verräter aus Überzeugung oder bösem Willen oder Dummheit.
Es stellt sich heraus, dass der Bruder an einem Bruch leidet, der operiert werden muss. Die Operation übersteht er und beginnt sich zu erholen. Er wird in den Rekonvaleszenzblock verlegt. Dort führt ein Kapo, ein übler Bursche, das Regiment. Es gehörte zum KZ-System der Nazis, geeigneten Gefangenen - am besten Verbrechertypen - die Aufsicht innerhalb des Lagers zu überlassen. Die genossen gewisse Privilegien und nahmen der Wachmannschaft einen Teil der Arbeit ab. Einem solchen Kapo ist Bruder Servulus nun ausgeliefert. Er unterschlägt seine Diätkost und teilt ihm statt dessen täglich einen halben Liter Kaffee zu, mehr nicht. Am 16. April 1943 stirbt Bruder Servulus nach einem Monat in Dachau. Sein Bettnachbar im Krankenblock bezeugte es nach dem Krieg.
Bruder Servulus hieß mit bürgerlichem Namen Alfons Patermann und stammte aus Westfalen. Er war 1901 als Sohn des Schneidermeisters Friedrich Patermann und seiner Ehefrau Anna geb. Henning in Bühne geboren worden. Im Kriegsjahr 1916 schloss er die Schule ab, arbeitete zunächst bei einem Bauern und machte nach dem Krieg eine Lehre in einer Straßenbaufirma. Der Umgang mit den großen Maschinen fesselte ihn. 1920 trat er in den Kapuzinerorden ein, arbeitete in verschiedenen Klöstern als Koch, Gärtner, Pförtner, zuletzt in St.Gangolf bei Besseringen.
Die Gemeinde hat den Weg vom Ort nach St.Gangolf hinauf „Bruder-Servulus-Weg" genannt. An seinem Rand stehen die vierzehn Kreuzwegstationen, die an das Leiden Christi erinnern. Am Karfreitag wird dort der Kreuzweg gebetet. Bei der Kirche erinnert ein Stein an den Bruder, der seinen Freund nicht verriet und sein Schweigen mit dem Leben bezahlte.
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Fotos: Hans Herkes
Das Vorschaubild zeigt ein Porträt von Bruder Servulus; Darstellung mit freundlicher Genehmigung von Prälat Helmut Moll, Erzbistum Köln.