Richard Kahn wird am 25.3.1909 in Merzig geboren. Seine Eltern sind die Eheleute Gabriel und Rosa Kahn geb. Scheuer. Richard ist nach Gertrud und Eric das dritte Kind. Nach ihm bekommt die Familie noch zwei Kinder: Hugo und David. So ist Richard das mittlere von fünf Geschwistern.
Die Familie Kahn ist seit mehreren Generationen in Merzig ansässig. Wie viele Juden in der ländlich geprägten Region betreibt der Vater mit seinem Bruder Julius einen Viehhandel. Kurz vor dem ersten Weltkrieg zieht die Familie nach Saarbrücken und bezieht eine Wohnung in der Großherzog-Friedrich-Straße Dort eröffnet der Vater ein Geschäft für Metzgereibedarf.
1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Der Vater wird eingezogen, aber nicht in eine kämpfende Einheit eingegliedert. Er ist 43 Jahre alt. Während der Abwesenheit des Vaters kümmert sich die Mutter allein um Geschäft und Familie. Unterstützt wird sie von einer Nichte und einem Dienstmädchen, Gretel, Tochter einer Bergmannsfamilie, an die sich Richard bis ins hohe Alter gut erinnert.
Nach der Grundschule besucht Richard drei Jahre lang das Ludwigsgymnasium und danach die Oberrealschule, die er vorzeitig verlässt, um seiner Neigung gemäß eine kaufmännische Lehre zu absolvieren, zuerst in einer Firma, die mit Drogerieartikeln und chemischen Produkten handelt, im dritten Jahr bei der Saarbrücker Eisenhandelsgesellschaft. Nach dem Abschluss der Lehre tritt er ins väterliche Geschäft ein und wird zu mehreren Praktika nach Paris geschickt. Danach arbeitet Richard als Handelsvertreter für Metzgereibedarf im elterlichen Unternehmen.
Noch während des Krieges zieht die Familie in die Kaiserstraße, also näher ans Stadtzentrum. Nach einigen Jahren erfolgreicher Geschäftstätigkeit kann sie ein Haus in Saarbrücken-Burbach erwerben und verlegt Wohnung und Geschäft dorthin. Kurz vor der Saarabstimmung, im Januar 1935, verkauft Familie Kahn das Haus wieder, emigriert nach Frankreich und kann in Nancy ein Geschäft für Metzgereibedarf übernehmen.
Der Versuch, die französische Staatsangehörigkeit zu bekommen, scheitert. 1937 meldet sich Richard freiwillig zur französischen Armee, wird aber interniert, weil er Ausländer ist. Um aus dieser Lage herauszukommen, meldet er sich im Januar 1940 zur Fremdenlegion.
Die geplante Eheschließung mit Marianne Hirsch muss er auf später verschieben.
Über Marseille wird er nach Sidi-Bel-Abbès in Algerien gebracht zur militärischen Ausbildung. Nach dem Waffenstillstand im Juni 1940 wird er aus der Armee entlassen. Es gelingt ihm, nach Frankreich zurückzukehren, und zwar nach Ribérac bei Périgueux in der freien Zone, wo er Verwandte und seine Verlobte wieder trifft. Seine Eltern und andere Verwandte sind indessen in der Normandie, wohin sie nach Kriegsausbruch geflüchtet waren, also in der besetzten Zone.
Richard arbeitet als Vertreter für Kosmetikartikel, später als Landarbeiter. Im April 1941 heiraten Richard und Marianne in Périgueux. Da das Leben für jüdische Emigranten in der Nähe der Demarkationslinie nicht sicher ist und es Übergriffe der französischen Gendarmerie und der Gestapo gibt, beschließt die Familie im Dezember 1942, in die Schweiz zu fliehen. Unter großer Mühsal und Gefahr gelingt die Flucht am Jahresende.
Bei der Flucht erleidet Richard Erfrierungen an den Füßen. Es zeigt sich, dass Marianne schwanger ist. Beide Umstände führen dazu, dass sie nicht zurückgeschickt werden. Mit der finanziellen Unterstützung verschiedener Hilfsorganisationen können sie in einer Pension in Lausanne unterkommen. Im April 1944 wird in Lausanne die Tochter Evelyne geboren
Nach Kriegsende kehrt die Familie 1945 nach Nancy zurück. Andere Familienmitglieder kommen hinzu; das Haus wird wieder hergerichtet und das Geschäft eröffnet. Zusätzlich arbeitet Richard als Vertreter für die Haushaltwarenfabrik seines Schwagers in Paris. Mit der Unterstützung anderer Familienmitglieder kann Richard das Haus in Nancy kaufen.
Im Februar 1949 wird die zweite Tochter, Silvie-Gabrielle, geboren. In den Nachkriegsjahren gelingt es Richard, mit deutschen und österreichischen Herstellern Kontakt aufzunehmen und für deren Produkte ein Alleinvertriebsrecht für Frankreich zu bekommen. So hat er geschäftlichen Erfolg.
1968 verheiratet sich Evelyne mit Michel Dreyfuss und 1969 Silvie mit Michel Muscat. 1969 bringt Evelyne das erste Enkelkind zur Welt und 1970 Silvie das zweite. Nach dem Eintritt des Schwiegersohnes Michel Dreyfuss ins Geschäft wird 1974 ein größeres Grundstück gekauft und dass Geschäft vergrößert. Man gibt den Handel mit Därmen und Gewürzen für die Wurstherstellung auf und konzentriert sich auf Einrichtungen für die Fleischverarbeitung und die Lebensmittelherstellung. Die Geschäfte gehen gut, und die Familie kann sich Ferienreisen leisten und ein Sommerhaus am lothringischen Stockweiher. Zu einem besonderen Erlebnis wird eine Reise nach Israel.
Mit zunehmendem Alter stellen sich Krankheiten ein. Richard wird mehrmals an der Blase operiert. Die Bemühungen mehrerer Spezialisten, die Ablösung der Netzhaut im linken Auge zu beheben, bleiben ohne Erfolg.
Im September 1976 stirbt Marianne mit 64 Jahren. 1978 zieht Richard sich aus dem Geschäft zurück. Er lernt die seit zehn Jahren verwitwete Tina aus Straßburg kennen, heiratet sie und zieht zu ihr nach Straßburg. 1979 unternehmen beide eine Rundreise durch die USA, in deren Verlauf sie Verwandte besuchen, aber auch einen Retina-Spezialisten in Boston konsultieren, ohne Erfolg. Es folgen gemeinsame Reisen nach Spanien, Israel, Südfrankreich, Madeira und in den Schwarzwald.
Auf Einladung der Stadt Merzig besucht Richard 1984 seine Geburtsstadt und sieht das Haus wieder, in dem er vor 75 Jahren das Licht der Welt erblickt hat.
Richard Kahn starb 2007 in Straßburg und wurde bei seiner Tochter in Nancy bestattet.
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Quelle: Richard Kahn, Quelques événements de ma vie