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Saarbrücken

Die 99 besonderen Seiten der Stadt

Rita Dadder und Florian Russi

Saarbrücken, Landeshauptstadt des Saarlandes und unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze gelegen, ist eine Stadt mit vielen Reizen. Es hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Von Goethe wurde es besucht und beschrieben und von Kaiser Barbarossa teilweise zerstört. Heute ist Saarbrücken eine moderne Metropole mit Universität, Museen und vielfältiger Kultur. Hier lebt man nach der Devise: »Wir wissen, was gut ist«, ist gastfreundlich und lässt sich gerne »entdecken«.


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Heft 2

B-Z! Das ist nett! (Teil 1)

In diesem Arbeitsheft werden alle Konsonanten eingeführt, die sich beim Sprechen gut dehnen lassen. Dazu kommen noch einige Vokale (Zwie- und Umlaute).

Lehnenausroofen

Lehnenausroofen

Ferdinand Luxenburger

In einigen saarländischen Dörfern wird heute noch die Tradition des Lehnenausrufens oder auf moselfränkisch das „Lehnenausroofen“ gepflegt. Diese alte saarländische Tradition diente dazu, junge Burschen mit gleichaltrigen Mädels zusammenzubringen, in früheren Zeiten gab es wohl nicht so viele Möglichkeiten, bei denen junge Menschen sich kennenlernen konnten. Es sei noch erwähnt, dass in den Quellen jeweils unterschiedliche Schreibweisen – Lehnenausrufen und Lehenenausrufen – zu finden sind.

Der Ausrufer hat neben dem Blechrohr noch die Liste der Paare in der Hand.
Der Ausrufer hat neben dem Blechrohr noch die Liste der Paare in der Hand.

Zu Beginn eines jeden Jahres, zwischen Lichtmess und Fastnacht, trafen sich die jungen Männer, die 18 Jahre alt geworden waren als Lehnenkomitee und riefen unter Anteilnahme der grölenden Jugend die Lehnen aus, d. h.: jedem jungen Mann wurde ein Mädchen durch Ausrufen zugeordnet, mit dem er dann auf dem Lehnenball, der in der Regel eine Woche vor Fastnacht stattfand, tanzen sollte. Das ganze Dorf war bei diesem Ereignis auf den Beinen, um zu hören, wer in diesem Jahr wen zum Lehnen bekommt. Das Festkomitee begab sich in einer Art Festzug, mit brennenden Fackeln auf eine Anhöhe in der Nähe des Dorfes und zündete ein Feuer an, um dem Ganzen einen feierlichen Rahmen zu geben. Gelegentlich hat man, wie zu früheren Zeiten in Brotdorf, ein brennendes Wagenrad ins Tal rollen lassen, um die festliche Zeremonie zu eröffnen.

Josef Ollinger beschreibt in seinem Buch „Bräuche von Saar und Mosel“ wie das in Nohn in der Gemeinde Mettlach einst vor sich ging. Der Ausrufer schrie so laut er konnte „Ech genn, ech genn!“ Die Menge antwortete: „Geff, wem de wellscht“. Darauf dann der Ausrufer: „Ech genn de Pittersch Kloas un et Meiers Suß dat Johr zur Lehn un et nescht Johr zur Eh“. „Daht es recht“ riefen die Anwesenden begeistert.
Es oblag ganz alleine dem Lehnenkomitee, das die ganze Veranstaltung organisierte, die Paare zusammenzustellen. Nicht selten kam es vor, dass sich mehrere junge Männer um ein bestimmtes Mädchen bewarben. Unter der Hand wurde dann Geld geboten und der Meistbietende erhielt den Zuschlag, gelegentlich reichte auch eine Flasche Selbstgebrannten, um das gewünschte Mädchen zugerufen zu bekommen. Natürlich nahm man auch Rücksicht darauf, wenn sich schon das ein oder andere Paar im richtigen Leben gefunden hatte.

Nach dem Ausrufen begab sich dann das Komitee unter lautem Jubel und Zurufen der Umstehenden in die Gastwirtschaft, um die vom Ausrufen heiser gewordenen Kehlen kräftig anzufeuchten und eine Stärkung zu sich zu nehmen. Am nächsten Tag wurde dann im Dorf an exponierter Stelle eine Liste mit den Lehnenpaaren ausgehängt. Die Lehnenmädchen hatten dann in der Woche entweder selbst eine Brezel gebacken, oder sie bestellten eine beim Bäcker, die sie als Zeichen des Einverständnisses mit ihrem Lehnenjungen diesen überbrachten. Ursprünglich wurden die überdimensionalen Brezeln im Steinbackofen gebacken, der in fast jedem Haus zu finden war. Als die alten gemauerten Backöfen stillgelegt wurden und elektrische Backöfen, die viel kleiner waren, angeschafft wurden, konnten die übergroßen Brezeln nicht mehr zu Hause gebacken werden und wurden deshalb in einer Bäckerei in Auftrag gegeben. Hatte ein Junge keine Brezel bekommen, hatte ihn das Mädchen abgelehnt und er brauchte sie nicht zum Ball zu führen. Die übrigen Burschen gingen am Tag des Lehnenballs ins Haus ihrer Lehnen, wo sie mit Schnaps und Viez bewirtet wurden und anschließend die jungen Damen zum Tanzen auf den Lehnenball ausführten.

Über die historischen Wurzeln des Lehnenausrufens gibt es verschiedene Auffassungen, die vom Ursprung in einem keltischen Kult in vorchristlicher Zeit bis ins Mittelalter reichen. Nikolaus Fox versucht in seiner Saarländischen Volkskunde nachzuweisen, dass im 14. Jahrhundert die Zeremonie des Lehnen Ausrufens „sehr beachtet wurde“, wohl verbunden mit Tänzen um ein Freudenfeuer. Er beschreibt das Lehnenausrufen als eine Vorstufe zur Verlobung und möglicherweise als eine Maßnahme, die Ordnung im Sinne des Grundherrn in die Liebschaften innerhalb einer Gemeinde bringen sollte.

Lehnenausrufen in Saarhölzbach mit der Trööt in den Neunzehnhundertsechziger Jahren
Lehnenausrufen in Saarhölzbach mit der Trööt in den Neunzehnhundertsechziger Jahren

Carl Conrad beschreibt in seinem Buch Mettlach - von Landschaft, Brauch und schönen Künsten, dass die Büttel des Erzbischofs und Kurfürsten Balduin von Trier (1285-1334), die die jungen Männer zum Heeresdienst aushoben, über die Dörfer zogen und den Namen der militärpflichtigen Burschen laut riefen; gegebenenfalls fügten sie den Namen der unverheirateten Männer noch den Namen ihres „Gespusi“ hinzu, womit beide als öffentlich verlobt galten.

An einer anderen Stelle nennt Conrad das Lehnenausrufen einen fröhlichen Brauch, der für das ganze Dorf ein Freudenfest gewesen ist. Als Veranstalter nennt er den Jahrgang der „Ziehungsjungen“, womit die militärpflichtigen jungen Männer gemeint sind. Weiter schreibt er: „Mit Fackeln, glühenden, rollenden Feuerrädern und Gesang, in Saarhölzbach mit leuchtenden Transparenten, die, wie von Geisterhand bewegt, von einer Bergkuppel zur anderen gleiten, wird das Ereignis des Lehenausrufens eingeleitet, damit die bösen Geister fernbleiben. Dann werden ohne Schonung aller unverheirateten Männer und Mädchen aller Jahrgänge vom Berge aus als Paare ausgerufen, alle konzessionierten und nicht konzessionierten Techtelmechtel, alle heimlich und unheimlich Liebenden als verlobt verkündet und mithilfe des großen Blechrohres öffentlich kopuliert.“ (S. 51) Mit diesem Blechrohr, mundartlich „Trööt“ genannt, werden auch heute noch dort die Lehnen ausgerufen.

Saarhölzbach scheint schon immer eine Hochburg dieser Tradition gewesen zu sein, sodass Johann Schmal 1934 eigens ein Lied zu diesem Anlass geschrieben hatte: "Mir sen vun Hölzbich, rufen wir die Lehnen aus, herrschet frohes Treiben, Burschen, Mädchen dann zuhaus nicht mehr sitzen bleiben, von der Kupp die Paare schall'n, drauf tut's oft gelingen, dass sich zwei sehr gefall'n, und im Glück sie singen."(SZ, 15. Januar 2015)

In den neunzehnhundertfünfziger Jahren, wohl als Reaktion auf die entbehrungsreichen Kriegsjahre, war es selbst in kleinen Dörfern üblich, die Lehnen auszurufen, heute finden wir diesen alten Brauch nur noch in wenigen Orten im Kreis Merzig-Wadern wie etwa in Saarhölzbach und Wadrill. Beim Lehnenball spielt nicht mehr wie früher die traditionelle Tanzkapelle, sondern es legt ganz zeitgemäß ein DJ auf und die Veröffentlichung der Lehnenpaare erfolgt nicht nur analog, sondern auch über soziale Medien wie Facebook und Co.

*****

Quellen:

- Josef Ollinger, Bräuche von Saar und Mosel, Rheinbach, 2017
- Carl Conrad, Mettlach - von Landschaft, Brauch und schönen Künsten, Saarländische Verlagsanstalt und Druckerei, Saarbrücken 3, ohne Jahresangabe (um 1950)
- Nikolaus Fox, Saarländische Volkskunde, Bonn, 1927.
- Wilfried Hoffmann, Wer passt zu wem?, Saarbrücker Zeitung, 15. 01 2015
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/merzig-wadern/mettlach/wer-passt-zu-wem_aid-1432887, abgerufen 02.02.2022

Bilder:
- Fotos Lehnenausrufen: Privatarchiv Klaus Oberbillig
- Brezel: © Superbass / CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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