„Wiebelskirchen war ein kleiner Ort, - es gibt ihn heute noch - in dem Bergarbeiter, Metallarbeiter und auch Landwirte sowie kleine Geschäftsleute wohnten. Ein schöner Ort, der durchquert wird von der Fließ, einem kleinen Bach, mit waldreicher Umgebung, sodass wir nach der Schule die Möglichkeit hatten, uns sowohl im Ort als auch in der Umgebung und im Wald zu tummeln."
So erinnert sich, meine Leserinnen und Leser, der bekannteste Sohn des Ortes, Erich Honecker, an Wiebelskirchen. Wir können hinzufügen, dass Wiebelskirchen die älteste nachgewiesene christliche Ortsbezeichnung im Saarland ist. Der Name wird 765 zum ersten Mal urkundlich erwähnt.
Natürlich war es dem Sohn eines Bergarbeiters nicht in die Wiege gelegt, dass er einmal viele Jahre lang Staatsoberhaupt und maßgeblicher Machtausüber in einem Teil Deutschlands werden würde. Noch weniger war zu ahnen, dass er Mitwirkender, Zeitzeuge und schließlich uneinsichtiger und altersstarrsinniger Verlierer in einem weltgeschichtlichen Umbruch wurde, welcher in seinen Ausmaßen und der Raschheit, in der er sich vollzog, wohl beispiellos war.
Dieser Junge, der nach zwei Jahren landwirtschaftlicher Arbeit in Pommern im Alter von sechzehn Jahren im Jahre 1928 nach Wiebelskirchen zurückkehrte und eine Lehre als Dachdecker begann, wurde zu einem kommunistischen Berufsfunktionär, der im Laufe seines Lebens immer stärker Opfer eines von Friedrich Engels so genannten ideologieinduzierten „falschen Bewusstseins" wurde, an dem er letztendlich scheiterte.
Der Verfasser dieses Textes, liebe Leserinnen und Leser, hat beinahe in der gesamten Zeit ihres Bestehens in der DDR gelebt und kennt die Verführungen einer geschlossenen, sich selbst reproduzierenden politischen Ordnung, die auf alle Fragen eine Antwort weiß und für alle Probleme eine Lösung. Und wenn viele der führenden Vertreter dieses Systems, wie es in der DDR der Fall war, aus den Konzentrationslagern oder Zuchthäusern des Dritten Reiches oder aus der ihnen von den Nationalsozialisten aufgezwungenen Emigration kamen, so schenkte man ihnen leicht einen Vertrauensvorschuss und übersah dabei, dass ihre Leiden sie nicht automatisch zu aufrechten und moralisch integren Humanisten werden ließen.
Honecker glaubte an die Möglichkeit, die Menschen mit Hilfe einer ihnen zwangsweise nahegebrachten Ideologie glücklich zu machen. Und dazu setzte er den traditionellen Machtapparat der kommunistischen Länder, Geheimpolizei und ihre Informanten, Polizei, Armee, die sogenannten Kampfgruppen der Arbeiterklasse und eine der Partei hörige Justiz ein. Doch schließlich scheiterten Honecker und die DDR an einem System, das keine Anpassung an wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und geistige Veränderungen im eigenen Land und in der Welt zuließ.
Wenn man die Antworten Honeckers auf die von Andert und Herzberg (siehe unten, Literaturangaben) gestellten Fragen liest, so überkommt einen angesichts ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Wirklichkeitsverneinung und nicht zuletzt der ungelenken Parteisprache eine Mischung von Mitleid und Schrecken - Schrecken auch angesichts eigenen Versagens vor den Anforderungen gesunden Menschenverstandes und eines unverrückbaren inneren moralischen Maßstabs.
Als Erich Honecker im Jahre 1994 in Santiago de Chile im Alter von 82 Jahren starb, wurden ihm kaum Tränen nachgeweint. Er hatte zu viel Leid über die Menschen gebracht, die sich seinen Anschauungen nicht fügen wollten.
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Literatur:
Andert, Reinhold/Herzberg, Wolfgang. 1990. Der Sturz. Erich Honecker im Kreuzverhör. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag.
Schütt, Hans-Dieter. 2009. Glücklich beschädigt. Republikflucht nach dem Ende der DDR. Berlin: Wolfgang Jobst Siedler jr.
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