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Saarbrücken

Die 99 besonderen Seiten der Stadt

Rita Dadder und Florian Russi

Saarbrücken, Landeshauptstadt des Saarlandes und unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze gelegen, ist eine Stadt mit vielen Reizen. Es hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Von Goethe wurde es besucht und beschrieben und von Kaiser Barbarossa teilweise zerstört. Heute ist Saarbrücken eine moderne Metropole mit Universität, Museen und vielfältiger Kultur. Hier lebt man nach der Devise: »Wir wissen, was gut ist«, ist gastfreundlich und lässt sich gerne »entdecken«.


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Alpakafrech: mein 6. Geburtstag

Die Alpakas Fred und Egon führen durch eine bunte Geburtstagsreise mit pädagogisch wertvollen Lernspielen, Zahnkalender und lustigen Rätseln sowie einem Rezept und einen Experiment. 

Wohnungen für das Volk

Wohnungen für das Volk

Stefan Schwall

Saarländische Kleinsiedlungen in den 30er Jahren

Durch die Volksabstimmung vom 13.01.1935 wur­de das Saargebiet wieder Teil des Deutschen Rei­ches. Ab jetzt galten auch hier die Verordnungen aus Berlin. Auch im Bausektor, wobei die Archi­tekten im Auftrag der Partei neben Staats- und Parteibauten auch im Wohnungswesen aktiv wur­den, nämlich in Kleinsiedlungen (KS) und „Volks­wohnungen“ (VWg). Die sogenannten KS bildeten das „Kernstück der deutschen Wohnungspolitik“ im NS-Staat. Die KS-Stellen sollten vor allem für Stammarbeiter, d. h. Facharbeiter gebaut werden, deren Bindung an ihre Arbeitsstätten in nahege­legenen Industriekomplexen durch Grund- und Hausbesitz verstärkt werden sollte (Y. Doosry, Kleinsiedlung und Volkswohnung, S. 101). Auch In „der Grenzmark des Westens“ mit ihren vielen Gruben und Hütten wurden nun viele Kleinsied­lungen gebaut, an Stadträndern ebenso wie in mittelgroßen und kleineren Gemeinden. So wurde im Auftrag der „Saarpfälzischen Heimstätte“ In Neustadt/Weinstraße auch ein Baugelände am Rande Saarbrückens, auf dem Rastpfuhl, ausge­sucht: Das Waldstück zwischen dem Forstweg (heute: Hubert-Müller-Str.), dem Verbindungsweg (Forstweg) zwischen Waldfriedhof Burbach und Rußhütte (heute: Mosel- u. Rußhütter Str.) und dem Forstweg (heutige Straße „Am Gilbenkopf“). Im Frühjahr 1935 wurde gerodet, die Straßenzüge provisorisch festgelegt und ausgebaut.

Die Siedlung in der Rußhütter Straße (1938)
Die Siedlung in der Rußhütter Straße (1938)

400 Siedlerstellen zu je 1000 Quadratmeter sind geplant (Bauakte 6644, Stadtarchiv Sbr.). Am 6.5.1935 erfolgte der erste Spatenstich. Die Sied­lerbewerber wurden vorher von dem Siedlungs­verein „Selbsthilfe Saar“ ausgewählt. Am 6.5.1936 hatten die Bauunternehmer 136 Häuser im Rohbau erstellt (1. Bauabschnitt). Auf dem heuti­gen Trarbacher Platz wurde Richtfest gefeiert und die 136 Siedlerstellen an die Bewohner verlost.

Obst und Gemüse im eigenen Garten

Zu einer Kleinsiedlung gehörten neben den ei­gentlichen, mit Wohnhaus, Nutzgarten und Stal­lungen ausgestatteten Stellen noch kleine Ein- -oder Zweifamilienhäuser mit Ziergarten, ferner Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern mit klei­ner Gartenzulage. Der Hauptzweck der Stellen (Mindestgrundstücksgröße 1000 m!) bestand dar­in, einer siebenköpfigen Familie eine annähernde Selbstversorgung zu ermöglichen. Der Siedler sollte nicht nur Obst und Gemüse im eigenen Garten ziehen, sondern auch Kleintiere halten; hinzu kam der Anbau von Grünfutter, Rüben und Kartoffeln auf einem zusätzlich gepachteten Stück Land. Bei der Grundrissgestaltung ihres Hauses sollten die Bauherren einer Stelle von den Wirt­schaftsräumen (Stall und Küche) ausgehen, wobei der Stall entweder in den Hausgrundriss einbezo­gen oder gesondert gebaut werden konnte (so auch auf dem Rastpfuhl). Stall und Küche sollten einen bequemen Zugang zum Hofraum haben.

Die Hausfrau musste in der Küche wirtschaften, d. h. die Mahlzeiten zubereiten, für die Vorrats­haltung sorgen und — sofern im Keller keine Waschküche vorhanden war — ihre Wäsche ko­chen. Zugleich spielte sich in der Wohnküche das Familienleben ab: Man aß dort, die größeren Kinder machten in diesem Raum ihre Schularbei­ten, die kleineren benutzten ihn als Spielfläche. Die übrigen Räume des Hauses — Eltern- und Kinderschlafzimmer Im Erdgeschoß, je nach Kin­derzahl noch ein oder zwei Kammern als Schlaf­stellen im Dachgeschoss — waren im Gegensatz zu der multifunktionalen Wohnküche jeweils auf einen bestimmten Zweck festgelegt.

Neuartige Möbel wurden produziert

Das Prinzip der raumintensiven Nutzung einer Wohnung hatte Konsequenzen im Bereich der Möbelproduktion. Auch auf diesem Gebiet wurde vom Reichsheimstättenamt eine „Auslese, Ent­wicklung und Normung“ angestrebt (Richard Kun­ze: „Der dt. Wohnraum — Gedanken zur Helm­gestaltung“). Ausgehend von der Meinung, dass Familien bei ihrem Einzug in eine Volkswohnung oder ein Siedlerhaus meist Möbel mitbringen wür­den, die eine optimale Ausnutzung der Räume nicht zuließen, wurde vom Reichsheimstättenamt der DAF der Entwurf und die Produktion neuarti­ger Möbel eingeleitet. Dabei erfreuten sich Auf­baumöbel und Aufbauprogramme besonderer Be­liebtheit, da die finanzschwachen Käufer die Ein­richtung ihrer Wohnung mit kleinen Einheiten be­ginnen und sie nach und nach erweitern konnten. Trotz hoher Qualität sollten diese Möbel für breite Bevölkerungskreise erschwinglich sein. So sollte die vollständige Möblierung eines Wohn- und Schlafzimmers nicht mehr als 500 RM kosten.

Das nationalsozialistische Kleinsiedlerkonzept wurde nicht nur durch Bücher und Zeitschriften popularisiert, sondern der Öffentlichkeit auch durch eine Reihe von Ausstellungen (Muster­schau in Saarbrücken ab 26.8.1939) oder Mo­dellhäusern nahegebracht (so die erste Siedler­stelle auf dem Rastpfuhl „Am Rothenbüsch 9“, Anwesen Meiser).

Angesichts der beengten und entbehrungsrei­chen Wohnverhältnisse in KS-Stellen und Volks­wohnungen verdient der Erfindungsreichtum, mit dem die NS-Propaganda diesen Wohnformen alle möglichen Vorzüge andichtete, schon fast Be­wunderung. Über die Befriedigung der Grundbe­dürfnisse hinaus wurden den Bewohnern der KS- Stellen ungeahnte Möglichkeiten der Persönlich­keitsentfaltung in Aussicht gestellt, die sich aus der Wiederherstellung der angeblich abgerisse­nen Verbindung zur Natur ergaben. Die Propa­gandisten schwärmen von der Weite und Unbe­rührtheit der Landschaft, vom großen, freien und ungebändigten Raum, vom Losgelöstsein von den Nichtigkeiten des Alltags. Der Kontakt zur Natur soll aber auch die Entfremdung des Menschen aufheben: Über das Leben und Arbeiten im Garten soll er wieder zu den Zusammenhängen alles Le­bendigen zurückfinden, insbesondere zum „Bo­den“, in dem er ebenso wie die Pflanzen Wurzeln schlagen muss, um überleben zu können. Dem „Boden“ muss der Kleinsiedler seine Nahrung ab­ringen; dieser natürliche Lebenskampf im Garten gibt seinem Leben Sinn, führt ihn zur Selbstverwirklichung. Der Kräfteverschleiß im Haus und Garten wird ausgeglichen durch Ferienglück, das der Kleinsiedler ebendort findet, wo er sich zuvor geplagt hat, im eigenen Garten — wobei er auch noch das Geld für teure Reisen spart (das er ohnehin nicht hat). Der Mann als der Stärkere soll diejenigen Tätigkeiten in Haus und Garten übernehmen, die körperliche Kraft verlangen. Al­les übrige — bei weitem der größte Teil der Arbeit — bleibt der Frau als der „Zarteren“ vorbehalten. Zu ihren wichtigsten Aufgaben zählt die Aufzucht der Kinder, Kleintiere und Gartenpflanzen, da sie „von Natur aus“ zur Gebärerin und Hüterin des Lebens bestimmt ist.

Die Familiengemeinschaft soll sich in die Siedler­gemeinschaft eingliedern. Auch sie ist ein „na­turverbundener“ sozialer Organismus, denn sie soll nach dem Willen des Staates der Stärkung der biologischen Volkskraft und der arteigenen Zuordnung von Volk und Landschaft dienen. Die Behörden, die für die Zuweisung von Land an Kleinsiedler zuständig sind, untersuchen vorher deren Erbgesundheit, wobei Bewerber bevorzugt werden, deren Vorfahren sich durch Kinderreich­tum auszeichneten („Gesunden Raum gesundem Volk“, SZ v. 23. 7. 1935). Der Siedler und seine Frau müssen körperlich kräftig und ausdauernd sein, ferner wird ihre charakteristische Eignung (Sparsamkeit, Ordnungsliebe, Einsatzbereit­schaft) geprüft (W. Durth, Architektur und Städ­tebau der 30er Jahre). Beide Wohnformen (die seit 1937 unter dem Oberbegriff Arbeiterwohn­stätten zusammengefasst wurden) zwangen zur äußersten Einschränkung im materiellen Bereich und ermöglichten dadurch die Einsparung staatlicher Subventionen für den Wohnungsbau zugun­sten anderer Prioritäten, d. h. vor allem der Rü­stung. Was insbesondere die KS-Steilen betraf, so erleichterten sie der Industrie die Senkung der Reallöhne, da durch die teilweise Selbstver­sorgung der Arbeiter-Siedler ein Ausgleich ge­schaffen werden konnte. Gleichzeitig sollte das Leben in der Siedlergemeinschaft die Demobili­sierung und die räumliche Aufteilung der organi­sierten Arbeiterschaft fördern. Schließlich wurde hervorgehoben, dass der Bau von Kleinsiedlungen eine wirkungsvolle Luftschutzmaßnahme sei.

Die Kleinsiedlung ist keine Erfindung des NS-Staates. Schon in der Weimarer Republik hatte der Staat im Rahmen der Notverordnungen mit dem Bau begonnen, zur Bekämpfung der Arbeitslo­sigkeit (so z. B. in Cottbus-Nord, 1923). Ausge­schlachtet wurde der KS-Bau immer als „Sozia­lismus der Tat“, „das Volk baut für das Volk“. 1939 wurden die Siedlerfamilien auf dem Rastpfuhl evakuiert, ab Juni 1940 kamen die ersten zu ver­wilderten Gärten und zum Teil verwüsteten Häu­sern zurück. Zwischen 1940 und 1945 wurden nicht wenige Häuser bei Bombenangriffen auf den Bahnhof Schleifmühle und die Burbacher Hütte zerstört. Im Oktober 1944 erfolgte die 2. Evaku­ierung. 1948 gründete sich wieder „die Siedler­gemeinschaft Rastpfuhl“. Das Straßennetz der Siedlung trug bei der Gründung deutsche Namen aus den Sudeten, Böhmen oder aus Siebenbür­gen. Bis auf den „Siebenbürger Weg“ tragen viele Straßen heute Namen aus dem Moselraum. Durch Eigeninitiative beim Wiederaufbau beziehungs­weise bei der Renovierung haben die Eigentümer oder deren Erben diese Kleinsiedlung zu schönen Häusern werden lassen.

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Foto: Die Siedlung in der Rußhütter Straße (1938): Siedlerbund (Scan aus der Saarbrücker Zeitung)

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