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Saarbrücken

Die 99 besonderen Seiten der Stadt

Rita Dadder und Florian Russi

Saarbrücken, Landeshauptstadt des Saarlandes und unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze gelegen, ist eine Stadt mit vielen Reizen. Es hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Von Goethe wurde es besucht und beschrieben und von Kaiser Barbarossa teilweise zerstört. Heute ist Saarbrücken eine moderne Metropole mit Universität, Museen und vielfältiger Kultur. Hier lebt man nach der Devise: »Wir wissen, was gut ist«, ist gastfreundlich und lässt sich gerne »entdecken«.


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Sommerschnee

Berndt Seite

Hardcover, 124 S., 2020 erscheint demnächst; Bereits vorbestellbar

ISBN: 978-3-86397-134-2
Preis: 15,00 €

Sommerschnee – das sind die luftig-bauschigen Samenfasern der Pappelfrüchte, die sich im Sommer öffnen und die Welt mit ihrem weißen Flaum überziehen: Schnee in der wärmsten Jahreszeit. Mal melancholisch, mal mandelbitter, aber stets in größter Genauigkeit geht Berndt Seite auch in seinem neuen Lyrikband den Erscheinungsformen der Natur nach und lotet in ihnen die Bedingungen des Lebens aus.

Polenfahrt im Herbst 1989

Polenfahrt im Herbst 1989

Ferdinand Luxenburger

Das Jahr 1989 ist im kollektiven Gedächtnis der Deutschen als Jahr des Mauerfalls und Niedergangs des gesamten Ostblocks inclusive „glorreicher" Sowjetunion in Erinnerung geblieben. Im Frühherbst dieses Jahres hofften die, die immer an die Wiedervereinigung geglaubt hatten und befürchteten wohl die, die diese seit geraumer Zeit für eine bundesrepublikanische Lebenslüge hielten und das laut hinausposaunt hatten, dass die Ereignisse vom 9. November Wirklichkeit würden.

Am 1. September war die Situation im Osten, speziell in der DDR schon sehr prekär und deshalb dachte kaum einer daran, dass sich an diesem Tag der Überfall Hitlers auf Polen zum fünfzigsten Mal jährte. Georg Hasenmüller, Bildungsreferent des Bistums Trier in der damaligen Region Saar-Hochwald und Geschäftsführer der Christlichen Erwachsenenbildung Merzig (CEB) dachte ganz gewiss daran. Hatte er doch als Konsequenz aus zwölf Jahren Nationalsozialismus mit seinen unmenschlichen Verbrechen für sich zwei Ziele formuliert. Zum einen die Aussöhnung mit Israel und zum andern die Aussöhnung mit Polen in Anlehnung an den Briefwechsel der polnischen und der deutschen Bischöfe im Jahr 1965 nach seinen Möglichkeiten voranzutreiben. Schon in den neunzehnhundertsiebziger Jahren hatte er zusammen mit Alfred Diwersy, damals hauptamtlicher Beigeordneter der Stadt Merzig und in dieser Funktion u.a. für Kultur zuständig, gegen erhebliche Widerstände mit großem Erfolg „Israelische Tage" durchgeführt.

Haupteingang des KZ Ausschwitz
Haupteingang des KZ Ausschwitz

So organisierte er eine Gedenkfahrt nach Polen, die uns am 1. September ins KZ Auschwitz führen sollte. Am Tag zuvor startete in Merzig ein dreißigsitziger Bus mit 15 Mitfahrern, neben Mitgliedern und Mitarbeitern der CEB war auch die Journalistin Traudl Brenner mit von der Partie.

An der DDR-Grenze bei Eisenach gab es die üblichen lästigen schikanösen sozialistischen Grenzkontrollen und danach das besondere Fahrvergnügen auf original DDR-Straßen, zuerst das rhythmische Plopp Plopp der aus dem tausendjährigen Reich stammenden Autobahn aus Beton mit ihren Dehnungsfugen und nach Bautzen schließlich das Schlaglochgerumpel der Landstraßen bis Görlitz, bei dessen unaufhörlichem Gerüttel jedem das „gute Funktionieren" des Sozialismus sozusagen „eingeschüttelt" wurde. Die Fahrt dauerte nun schon „fast den ganzen Tag und wir waren eigentlich immer noch in Deutschland", wie einer der Mitfahrer bemerkte. Ein weiteres Highlight war dann noch die elend lange Wartezeit an der sozialistischen Brudergrenze zur Volksrepublik Polen. Jedenfalls kamen wir spät in der Nacht in unserem Privatquartier in der Nähe von Breslau an. Obwohl unsere Gastgeber "studierte Leute" waren - sie, pensionierte Richterin und er, pensionierter Direktor einer staatlichen Spedition - waren die sanitären Einrichtungen in ihrem für damalige Verhältnisse luxuriösen Doppelhaus, das sie mit der Tochter bewohnten - sagen wir es freundlich - bei weitem nicht auf dem uns gewohnten Standard. Die mangelnde Hygiene der Sanitäranlagen, mit denen wir fast während der ganzen Fahrt zu kämpfen hatten, hat so manchem aus der Reisegruppe im wahrsten Sinne des Wortes Bauchschmerzen bereitet. Zum Glück haben sich diese Verhältnisse nach dem Ende des Sozialismus in Polen blitzartig verändert.

Schriftzug über dem Haupttor des KZ Auschwitz mit dem umgedrehten B.
Schriftzug über dem Haupttor des KZ Auschwitz mit dem umgedrehten B.

Nach einem kurzen Zwischenstopp in einem von Nonnen geleiteten Katechetenheim in Oppeln (Opole) fuhren wir weiter nach Tychy, wo wir in einem "Sporthotel" Quartier bezogen. Beim Gedanken an die dortigen Verhältnisse schaudert es mich noch im Nachhinein.

Der KZ-Besuch, der eigentliche und wichtigste Grund der Reise hat jeden erschüttert. Ich erinnere mich noch daran, dass mir im wirklichen Sinn die Knie weich wurden, als plötzlich vor mir das Tor des Auschwitzer Stammlagers mit der menschenverachtenden Inschrift "Arbeit macht frei" mit dem auf den Kopf gestellten großen B auftauchte, denn dieses berüchtigte schmiedeeiserne Tor hatte ich schon oft in Geschichtsbüchern gesehen. Wir wurden von einer Gruppe ehemaliger Häftlinge begleitet, von denen einer zur sogenannten Lagerprominenz gehörte. Er erklärte uns auch, dass das umgedrehte B vom polnischen Schlosser bewusst so eingebaut wurde, um auf diese Weise seinen Protest als Häftling zum Ausdruck zu bringen. Kurz nach dem Durchschreiten des Eingangstores und nachdem unser Zeitzeuge erklärt hatte, wo das Lagerorchester täglich Aufstellung nehmen musste, entdeckten wir ein bekanntes Gesicht. Erzbischof Lehman von Mainz, der spätere Kardinal und Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz hatte wohl auch das Bedürfnis, an diesem Tag diesen Ort des deutschen Grauens zu besuchen, an dem man sich klein fühlte und zutiefst schämte. Am Nachmittag war dann der Besuch in Auschwitz-Birkenau nicht weniger deprimierend, nicht zuletzt, weil eine Frau aus unserer Begleitgruppe uns die Pritsche zeigte, die sie als kleines Mädchen in der sog. Kinderbaracke mit anderen Leidensgenossinnen teilte. Beim Weggehen legte sie noch ganz verstohlen, fast unbemerkt eine Blume auf die staubigen Bretter ihrer alten Leidensstätte.

Wawel-Kathedrale und Königsschloss in Krakau
Wawel-Kathedrale und Königsschloss in Krakau

Das Kontrastprogramm war dann der Besuch der ehrwürdigen Stadt Krakau und dem Wawel mit seiner prächtigen Kathedrale und der goldenen Kuppel der Sigismund-Kapelle. Von diesem Burgberg aus wurde Polen immerhin 500 Jahre von seinen Königen regiert. Natürlich sah die Stadt damals nicht so hell und glänzend aus wie heute. Die Fassaden waren fast alle schwarz vom Industrieschmutz des nicht allzu weit entfernten Nova Huta, einem, wie unsere Begleiter uns versicherten, nicht zu beherrschenden sozialistischen Stahlwerks-Moloch, dessen Dreck auf die Gebäude der historischen Stadt geweht wurde. In den folgenden Jahren sollte ich noch öfter nach Krakau kommen und die Stadt genauer kennenlernen.

Der Besuch des berühmtesten und weltbekannten polnischen Wallfahrtsortes war sozusagen „Pflichtprogramm". Wer nicht in Tschenstochau (Cz?stochowa) war, versteht die polnische Seele nicht. Die Kirche auf dem Berg Jasna Góra mit der Schwarzen Madonna, die auch liebevoll die Königin Polens genannt wird, ist über und über mit Bernstein und anderen Kostbarkeiten geschmückt, die von erhörten Bitten an die Schwarze Madonna zeugen, welche von den Polen tief verehrt wird. Im dortigen Museum, das den reichen kulturellen Schatz Polens widerspiegelt, war neben unzähligen profanen und sakralen historischen Schätzen der Friedensnobelpreis des damaligen Arbeiterführers und späteren polnischen Präsidenten Lech Walesa ausgestellt.  

Die Schwarze Madonna von Tschenstochau
Die Schwarze Madonna von Tschenstochau

Schließlich ließ der Besuch auf dem St Annaberg mit dem Kloster und der Wallfahrtsbasilika, der 1921 das Schlachtfeld blutiger Auseinandersetzungen zwischen polnischen Freischärlern und deutschem Freikorps war, uns nachdenklich werden.

Auf der Heimfahrt übernachteten wir dann im anfangs erwähnten Katechetenheim im oberschlesischen Oppeln. Da der sozialistische Staat auch in Polen keinen Religionsunterricht in der Schule zuließ, musste die katholische Kirche das selbst organisieren. Dazu brauchte sie natürlich ausgebildete Katecheten. Die Ausbildung dieser Katecheten erfolgte u.a. in Einrichtungen, wie dieser. Da die Leute oft von weit her kamen, mussten sie natürlich auch übernachten. Daher glich es auch eher einem Komforthotel oder wie wir es empfanden, eine Insel des Westens im tristen sozialistischen Osten. Jedes einzelne Zimmer war nach westlichem Standard stilvoll eingerichtet, inklusive Telefon und Bad, in dem dann jeder von uns Reisenden ausgiebig seinen hygienischen Nachholbedarf deckte.

Am Abend fand dann noch ein Treffen mit dem Weihbischof Wieczorek aus Oppeln statt. Er war u.a. Dozent an der katholischen Hochschule Lublin. Ganz stolz verkündete er, dass er für jeden Teilnehmer zwei Flaschen Bier organisieren konnte! Die Freude über zwei popelige Flaschen Bier für jeden, macht das damalige Elend im Land drastisch deutlich. Die Regale in den Geschäften waren leer. Hier und da konnte man ein paar Päckchen Nudeln erblicken. Auch ohne die bedrückende materielle Situation im Land, so schilderte es unser Gastgeber, war das Leben für viele nicht einfach. Die katholische Kirche hatte allerdings auch im sozialistischen Polen eine relativ starke Stellung. Vieles lief nicht über die offiziellen Parteigremien, sondern eher „pragmatisch". Denn so mancher gute Sozialist saß sonntags beim Gottesdienst unauffällig unter den Gläubigen. Manche trauten sich auch nicht. Für ganz dringliche Fälle hatte der Pfarrer oft einen kleinen klappbaren „Reisealtar", der in so manchem Funktionärswohnzimmer zum Einsatz kam. Außerdem berichtete er uns über die nicht einfache Situation der deutschen Minderheit in Oberschlesien und den Umgang der polnischen katholischen Kirche mit ihr.

Der alles beherrschende Eindruck, den wir im Herbst 1989 aus Polen mit nach Hause nahmen, war die mangende Versorgung der Bevölkerung. In dem Agrarland Polen konnte sich die Bevölkerung auf dem Land immer noch irgendwie helfen. Aber in den Städten war die Situation schon sehr viel prekärer. Um diese Not drehten sich die Gespräche auf der Heimfahrt. In der Folge starte die CEB eine Hilfsaktion für Polen. Geld- und Sachspenden brachten etwa sechs oder sieben LKW-Ladungen an Hilfsgütern zusammen, die dann nach Polen geschafft wurden.

 

 

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- Vorschaubild: - Stacheldraht vor den Barracken in Auschwitz II-Birkenau. Urheber Diego Delso, CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
- Haupteingang des KZ Ausschwitz. Urheber: Bibi595, Lizenz: CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
- Schriftzug über dem Haupttor des KZ Auschwitz mit dem umgedrehten B. Urheber: Wulfstan, CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
- Wawel-Kathedrale und Königsschloss in Krakau. Urheber: Cavallo, CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
- Schwarze Madonna von Tschenstochau. Ikone auf Holz aus dem 15. Jahrhundert. gemeinfrei

 

 

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