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Saarbrücken

Die 99 besonderen Seiten der Stadt

Rita Dadder und Florian Russi

Saarbrücken, Landeshauptstadt des Saarlandes und unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze gelegen, ist eine Stadt mit vielen Reizen. Es hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Von Goethe wurde es besucht und beschrieben und von Kaiser Barbarossa teilweise zerstört. Heute ist Saarbrücken eine moderne Metropole mit Universität, Museen und vielfältiger Kultur. Hier lebt man nach der Devise: »Wir wissen, was gut ist«, ist gastfreundlich und lässt sich gerne »entdecken«.


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Berndt Seite

Augentrost

In den vielen Werkstätten des Anthropozän zieht Berndt Seite an den Fäden des Moments und befragt mit ihnen den längst abhanden geratenen Sinn des Lebens.

Wurde Marschall Ney nur zum Schein hingerichtet?

Wurde Marschall Ney nur zum Schein hingerichtet?

Florian Russi

Der Mann aus dem Dunkel

Wer war Peter Stuart Ney?

Michel Ney, am 10. Januar 1769 in Saarlouis geboren, zählt zu den faszinierenden Persönlichkeiten der Geschichte. Ungezählte Veröffentlichungen und Dokumente gibt es über ihn. Sein Lebenslauf ist auch deshalb so interessant, weil Ney vom kleinen Handwerkerssohn zum hochdekorierten Marschall Napoleons aufgestiegen und später von dessen Gegnern zum Tod verurteilt worden ist. Seine Verurteilung belastete das Gewissen vieler seiner Zeitgenossen. Ney wurde zum Helden einer Tragödie. Deshalb blieb nicht aus, dass sich um sein Lebensende Legenden rankten.
Die Hinrichtung des Marschall Ney
Die Hinrichtung des Marschall Ney

So berichten zum Beispiel die Autoren Dieter Walz, Reinhard Münch und Wolf-Dieter Schmidt in dem Buch „Auf Napoleons Spuren durchs Sachsenland"¹, dass Ney möglicherweise nur zum Schein erschossen worden sei. Mit Billigung des englischen Napoleonbezwingers Wellington und arrangiert von Freimaurern, denen Ney angehört haben soll, habe man ein Schauspiel ablaufen lassen, um die Royalisten und Napoleongegner in Frankreich und Europa zu befriedigen. Die Autoren schreiben hierzu:

„Jedenfalls lebte nachgewiesenermaßen seit etwa 1820 in Florence, Kleinstadt in South Carolina, ein Mann in mittleren Jahren mit schütterem Rothaar und leicht dicklich, von französischer Nationalität, der sich als Schullehrer (u. a. Französisch, Geographie, Mathematik vermittelnd) einigermaßen mühsam durchschlug, ein geläufiges Englisch mit allerdings deutschem Dialekt sprach und der sich als Peter Stewart Ney benannte." Narben und Wundmale, die er am Körper trug, sollen mit den Kriegsverletzungen des Marschalls übereingestimmt haben. Er behauptete von sich, der geflüchtete Michel Ney zu sein und wusste vieles von dessen Familie und seinen Kriegserlebnissen zu erzählen. Schriftvergleiche mit Originalbriefen des Marschalls sollen eine große Übereinstimmung mit der Schrift des Schullehrers gezeigt haben. Als ihn die Nachricht von Napoleons Tod erreichte, reagierte Peter Stuart Ney panisch und stieß sich ein Küchenmesser in den Hals, welches aber abbrach und nicht zum Suizid führte.

Peter Stuart Ney soll über mehrere Konten verfügt und viel in South- und North-Carolina herumgereist sein. Am 15. November 1846 ist er in einem Farmhaus auf einer Plantage in South-Carolina verstorben. Die Bestattung erfolgte auf Kommunalkosten in einem Armengrab, das jedoch später ausgestaltet wurde und bis heute gepflegt wird. Der „untote" Ney hat viele Verehrer hinterlassen.

Diese Geschichte klingt schön, ich halte sie aber nicht für glaubwürdig. Auch die meisten Historiker folgen ihr nicht. Sie reiht sich unter die Legendenbildungen, die wir u. a. auch von Elvis Presley, Michael Jackson oder Großfürstin Anastasia kennen. Historisch belegt ist zwar, dass der französische Polizeiminister Fouché und andere aus Neys Umgebung den Marschall zur Flucht aus Frankreich bewegen wollten und Fouché ihn deswegen mit einem zweiten, auf einen anderen Namen ausgestellten Pass ausstattete. Doch der Marschall hat darauf bestanden, sich als Ehrenmann vor dem Gericht der französischen Pairs verteidigen und rechtfertigen zu können.

Der Mann, der unter dem Namen Ney in Südkarolina auftauchte, erinnert an die Geschichte aus Mark Twains Roman „Huckleberry Finn", in dem zwei Betrüger auftreten, die sich als französischer Erbprinz bzw. Herzog ausgeben.

Neys ausgeprägtes Ehrbewusstsein hätte es nicht zugelassen, dass mit seiner Person ein solch unwürdiges Verwirrspiel aufgeführt worden wäre. Der Mann, der in vielen Kämpfen immer wieder sein Leben riskiert hatte, hätte sich nicht damit abfinden können, als Lehrer für Mathematik, Französisch und Geographie sein Leben zu fristen. Sein Biograph Klitscher schreibt, dass er keine große Neigung zur Mathematik besaß. Warum also hätte er sich gerade dieses Fach aussuchen sollen?  

Ney hing an seinem Vater und seiner Schwester, seiner Frau und den Söhnen. Die Familie war sehr wohlhabend und auch nach der Verurteilung des Vaters nicht ohne Einfluss. Mit Sicherheit wäre sie in der Lage gewesen, ihn in den Vereinigten Staaten ausreichend zu alimentieren. Da Peter Stuart Ney sich offen als Marschall Napoleons outete, kann man auch nicht davon ausgehen, dass die Familie Ney einer Geheimhaltungspflicht unterlegen hätte. Zwischen den USA und Frankreich bestand zu dieser Zeit auch kein Auslieferungsabkommen. Der angeblich Überlebende hätte in South Carolina ein angenehmes Leben führen und immer den Besuch seiner Frau oder anderer Familienmitglieder erwarten können. Davon ist jedoch nichts bekannt. Dass der Schullehrer vieles über den Marschall zu erzählen wusste, und einiges mit ihm gemeinsam hatte, entspricht anderen Beispielen dieser Art. Auch die polnische Bauerntochter Anna Anderson, geb. Schanzkowsky war so täuschend echt in die Haut der Zarentochter Anastasia geschlüpft, dass erst eine Genanalyse endgültige Klarheit brachte. Wenn das Geheimnis um Peter Stuart Ney geklärt werden soll, könnte ein Gentest ebenfalls Sicherheit schaffen. Aus der Familie des Marschalls leben noch einige Nachkommen und dessen Grab befindet sich entweder auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise oder in dem Ney-Mausoleum in Cleveland in South Carolina. Letzteres wurde im letzten Drittel des 20. Jahrhundert von Menschen errichtet, die daran festhalten, dass der berühmte und bewunderte Bürgerssohn aus Saarlouis 1846 in den USA eines natürlichen Todes gestorben ist.

*****

Literatur:
* Dieter Walz, Reinhard Münch, Wolf-Dieter Schmidt: Auf Napoleons Spuren durchs Sachsenland im Kriegsjahr 1813, Passage Verlag Leipzig, 2008.
- Ernst Klitscher: Michel Ney. Soldat der Revolution, Marschall des Kaisers. Buchverlag Saarbrücker Zeitung 1993.

Bilder:
- Vorschaubild: „Marschall Ney": Ausschnitt aus einem Ölgemälde von Eugène Battaille nach Jérome-Martin Langlois
- Oben rechts: Die Hinrichtung des Marschall Ney (Künstler unbekannt)
- Mitte links: Bearbeitung einer Grafik von Marschall Michel Ney aus Album du centenaire (1889), Bearbeiter: Rita Dadder
- unten recchts: Marschall Ney. Popart-Bearbeitung von Rita Dadder auf der Basis einer Zeichnung von Charles Cook, (Original ca. Mitte des 19. Jh.) 

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