Saarland-Lese

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Unser Leseangebot

Saarbrücken

Die 99 besonderen Seiten der Stadt

Rita Dadder und Florian Russi

Saarbrücken, Landeshauptstadt des Saarlandes und unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze gelegen, ist eine Stadt mit vielen Reizen. Es hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Von Goethe wurde es besucht und beschrieben und von Kaiser Barbarossa teilweise zerstört. Heute ist Saarbrücken eine moderne Metropole mit Universität, Museen und vielfältiger Kultur. Hier lebt man nach der Devise: »Wir wissen, was gut ist«, ist gastfreundlich und lässt sich gerne »entdecken«.


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Frank Meyer

Es war mir ehrlich gesagt völlig egal

 „Ich ging zur Beerdigung. Denn immerhin war ich es ja, der ihn erschlagen hatte.“

Sie schlagen sich so durch — die Jungs in Frank Meyers Geschichten. Dabei lassen sie sich von weiblichen Hosenanzügen beirren, stellen ihre grenzenlose Coolness beim Moped-Trinken unter Beweis und sorgen dafür, dass der Großvater fast die Sportschau verpasst.

Bruder Servulus von St. Gangolf bei Besseringen

Bruder Servulus von St. Gangolf bei Besseringen

Hans Herkes

Kennen Sie den: Im Dorf grassiert eine Viehseuche. Fragt eine Bäuerin ihre Nachbarin: „Habt ihr auch die Maul- und Klauenseuche?" Antwort: „Wir haltens Maul und klauen nicht."
„Wo ist da der Witz?" wendet der Leser ein, „das ist vielleicht ein Wortspiel, aber kein Witz." Stimmt für die heutige Zeit. Aber im tausendjährigen Reich zwischen 1933 und 1945 hat man das Wortspiel als Witz verstanden und musste aufpassen, wem man ihn weiter erzählte. „Halt den Mund, sonst kommst du nach Dachau", wäre eine mögliche Reaktion gewesen.
Begräbnisstätte der Kapuziner hinter der Kirche St. Gangolf
Begräbnisstätte der Kapuziner hinter der Kirche St. Gangolf

Pater Wigbert (Albert Beckers) aus dem Kapuzinerkonvent St.Gangolf bei Besseringen an der Saarschleife hatte den Mund nicht gehalten, sondern gesagt, was er dachte. „Beleidigung des Führers und Verbreitung verbotener Witze", warf man ihm vor.

Es war im Dezember 1942. Der zweite Kriegswinter in Russland. Immer mehr Familien erhielten Nachricht von Gefallenen. Die sechste Armee war bei Stalingrad eingeschlossen, Im November waren die Amerikaner in Casablanca gelandet. Je kritischer die Lage, um so lauter die Durchhalte- und Siegesparolen der Propaganda. „Räder müssen rollen für den Sieg", stand auf einem großen Schild am Bahnhof. Weh dem, der es wagte, Zweifel am Endsieg zu äußern. „Wir siegen, wir siegen!" durfte man laut rufen. Im Dialekt von Mund zu Ohr geflüstert: „Mir sieche, mir sieche --- langsam dahin", war Defätismus, Wehrkraftzersetzung, ein Verbrechen, das schlimme Strafen nach sich zog. Es brauchte sich nur noch ein Denunziant zu finden, ein Verräter aus Überzeugung oder bösem Willen oder Dummheit.

Gedenkstein für die verstorbenen Kapuziner
Gedenkstein für die verstorbenen Kapuziner
So etwas muss Ende Dezember 1942 in der Umgebung des Klosters St. Gangolf passiert sein. Um die Mittagszeit stehen vier Angehörige der GESTAPO vor der Tür: Hausdurchsuchung. Sie stellen alles auf den Kopf, finden anscheinend nicht, was sie suchen, aber etwas anderes: ein Säckchen mit circa fünf Kilogramm Mehl. Das soll auf Lebensmittelkarten gekauft worden sein? Da kann etwas nicht stimmen. Woher ist das Mehl? Der Vorsteher des Konvents weiß es nicht, der Koch auch nicht. Es bleibt an Bruder Servulus (Alfons Patermann), dem Gärtner, hängen. Ein Freund hat es ihm geschenkt. Wer ist der Freund, wie heißt er, wo wohnt er? Bruder Servulus antwortet, dass er seinen Freund nicht verraten könne, und bleibt dabei trotz allen Drohungen. Der Pater und der Bruder werden verhaftet und ins Saarbrücker Gefängnis Lerchesflur abtransportiert. Die Untersuchungshaft dauert bis Mitte März 1943. Bruder Servulus bleibt standhaft. So wird für beide KZ-Haft angeordnet, sie kommen nach Dachau.
Kreuzweg von Besseringen nach St.Gangolf: X. Station Jesus wird seiner Kleider beraubt
Kreuzweg von Besseringen nach St.Gangolf: X. Station Jesus wird seiner Kleider beraubt

Es stellt sich heraus, dass der Bruder an einem Bruch leidet, der operiert werden muss. Die Operation übersteht er und beginnt sich zu erholen. Er wird in den Rekonvaleszenzblock verlegt. Dort führt ein Kapo, ein übler Bursche, das Regiment. Es gehörte zum KZ-System der Nazis, geeigneten Gefangenen - am besten Verbrechertypen - die Aufsicht innerhalb des Lagers zu überlassen. Die genossen gewisse Privilegien und nahmen der Wachmannschaft einen Teil der Arbeit ab. Einem solchen Kapo ist Bruder Servulus nun ausgeliefert. Er unterschlägt seine Diätkost und teilt ihm statt dessen täglich einen halben Liter Kaffee zu, mehr nicht. Am 16. April 1943 stirbt Bruder Servulus nach einem Monat in Dachau. Sein Bettnachbar im Krankenblock bezeugte es nach dem Krieg.

Bruder Servulus hieß mit bürgerlichem Namen Alfons Patermann und stammte aus Westfalen. Er war 1901 als Sohn des Schneidermeisters Friedrich Patermann und seiner Ehefrau Anna geb. Henning in Bühne geboren worden. Im Kriegsjahr 1916 schloss er die Schule ab, arbeitete zunächst bei einem Bauern und machte nach dem Krieg eine Lehre in einer Straßenbaufirma. Der Umgang mit den großen Maschinen fesselte ihn. 1920 trat er in den Kapuzinerorden ein, arbeitete in verschiedenen Klöstern als Koch, Gärtner, Pförtner, zuletzt in St.Gangolf bei Besseringen. 

Kreuzwegstation XII: Jesus stirbt am Kreuz
Kreuzwegstation XII: Jesus stirbt am Kreuz

Die Gemeinde hat den Weg vom Ort nach St.Gangolf hinauf „Bruder-Servulus-Weg" genannt. An seinem Rand stehen die vierzehn Kreuzwegstationen, die an das Leiden Christi erinnern. Am Karfreitag wird dort der Kreuzweg gebetet. Bei der Kirche erinnert ein Stein an den Bruder, der seinen Freund nicht verriet und sein Schweigen mit dem Leben bezahlte.

 

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Fotos: Hans Herkes

Das Vorschaubild zeigt ein Porträt von Bruder Servulus; Darstellung mit freundlicher Genehmigung von Prälat Helmut Moll, Erzbistum Köln. 

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